Die katholische Kirche steht nach Ansicht des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck vor radikaleren Umbrüchen als während der Reformation.

–Foto: Thomas Emons
Mülheim– Die katholische Kirche steht nach Ansicht des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck vor radikaleren Umbrüchen als während der Reformation. „Wir stehen an einer Stelle in der Geschichte der Kirche, in der es zumindest so viele Veränderungsprozesse gibt wie vor 1.000 Jahren“, sagte er am Dienstagabend auf einem Podium in Mülheim an der Ruhr: „Das ist intensiver und radikaler als die Reformation.“
Derzeit verschiebe sich, was die Kirche als Institution bedeute – aber auch, welche Rolle Religion grundsätzlich in gegenwärtigen liberalen Gesellschaften spiele, so Overbeck. In Deutschland zeige sich, dass die Kirche mit ihrem derzeitigen sozialen Muster an ein Ende komme. Es müssten nun Schneisen geschlagen werden, damit auf Dauer Neues wachsen könne: „Aber bekanntlich: Das Gras wächst langsam, aber nicht schneller, wenn man daran zieht.“
Was bringt uns der Synodale Weg?
Was bringt uns der Synodale Weg? Diese Frage diskutierte Overbeck am Dienstagabend im vollbesetzten Auditorium der Katholischen Akademie mit seinen Gästen. „Werden Sie die Ergebnisse des Synodalen Weg im Bistum Essen anwenden, obwohl diese keine kirchenrechtliche Bedeutung haben?“ wollte das Publikum ebenso wissen, wie: „Wie gehen Sie mit den konservativen Katholiken um, die den synodalen Weg ablehnen?“ oder: „Werden Sie in Rom eine Sondererlaubnis für die Diakoninnenweihe beantragen?“
Mit Blick auf die Diakonatsweihe von Frauen sagte Overbeck: „Ich glaube, diesen Weg sollten wir gehen!“ Er wies darauf hin, dass es im Bistum Essen aktuell nur vier Priesteramtskandidaten gebe und schon heute einige Pfarreien des Bistums ohne Priester dastünden und von Pastoral- und Gemeindereferentinnen geleitet würden. Eine Vertreterin der katholischen Frauenbewegung Maria 2.0, die unter anderem die Weihe von Priesterinnen fordert, warnte davor: „Wenn die Frauen in der katholischen Kirche weiterhin als zweite Garnitur Gottes behandelt werden, darf man sich über einen weiblichen Exodus aus der Kirche nicht wundern.“
Die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Johanna Beck, die als Beiratsmitglied der von sexuellem Missbrauch durch Priester Betroffenen als Gast an der Vollversammlung des Synodalen Weges in Frankfurt am Main teilgenommen hat,Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Johanna Beck, die als Beiratsmitglied der von sexuellem Missbrauch durch Priester Betroffenen als Gast an der Vollversammlung des Synodalen Weges in Frankfurt am Main teilgenommen hat, stellte fest: „Wir haben in der katholischen Kirche eine Armada berufener Frauen. Sie nicht zu nutzen, ist nicht nur theologisch fragwürdig, sondern schlicht unvernünftig.“ Beck hat 2022 bei Herder das Buch: „Mach neu, was dich kaputt macht – Warum ich in die Kirche zurückkehre und das Schweigen breche“ herausgegeben
Stetter-Karp: Frauen waren die ersten am Grab
„Es gehört zur Tradition unserer frühen Kirche, dass sie Frauen, im Gegensatz, zur damaligen Mehrheitsgesellschaft, nicht als Sache, sondern als gleichberechtigte Menschen gesehen und sie auch in Ämter berufen hat“, erinnerte der Chefredakteur des Publik-Forums Matthias Drobinski. Die Sozialwissenschaftlerin und Vorsitzende des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Dr. Irme Stetter-Karp wies mit Blick auf die biblische Überlieferung darauf hin, „dass es Frauen waren, die am Ostermorgen als erste das leere Grab und den wiederauferstandenen Christus sahen. Stetter-Karp plädierte auch dafür, den Pflichtzölibat für katholische Priester aufzugeben und gleichzeitig die freiwillige Entscheidung für ein zölibatäres Leben anzuerkennen.
Stetter-Karp und Beck begrüßten den Synodalen Weg als einen wichtigen und guten Aufbruch für einen kirchlichen Reform- und Aufarbeitungsprozess, „der weitergehen muss und noch lange nicht am Ende ist.“ Die ZDK-Präsidentin würdigte die einstimmige Verabschiedung eines Maßnahmenkatalogs gegen sexualisierte Gewalt und deren Vorbeugung.
Doch Beck und Stetter-Karp zogen auch eine kritische Bilanz. Stetter-Karp kritisierte vor allem, dass die Bischöfe in der Vollversammlung des Synodalen Weges aufgrund ihrer Sperrminorität mit einem Drittel ihrer Mitglieder zum Beispiel die Grundsatzbeschlüsse zur kirchlichen Sexualmoral hätten blockieren können. Beck kritisierte unter anderem, dass die als Vertreterinnen der Opfer von sexualisierter Gewalt in der Kirche nur als Gast und nicht als stimmberechtigte Delegierte habe mitarbeiten können. Sie sagte weiter: „Das gemeinsame Ringen und Wachsen auf dem Synodalen Weg war eine geradezu geistliche Erfahrung. Wir sind gehört, aber nicht erhört worden. Der Synodale Weg hat uns gezeigt, wie Kirche sein könnte, aber auch, dass sie so eben auch noch nicht ist.“
Overbeck: Weltweiten Reaktionen auf Äußerungen beim Synodalen Weg
Journalist Matthias Drobinski, der nicht nur für das Publik Forum, sondern auch für die Süddeutsche Zeitung über den Synodalen Weg berichtet hat, machte mit Blick auf Gespräche bei der Amazonas-Synode und im Baltikum deutlich, „dass die Fragen und Probleme, über die der Synodale Weg diskutiert hat, nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern und Regionen der Weltkirche diskutiert werden und der Synodale Weg in Deutschland deshalb auch international sehr aufmerksam und zum Teil mit heißen Ohren verfolgt worden ist.“ Diese Einschätzung bestätigte Bischof Overbeck und berichtete von weltweiten Reaktionen auf seine Äußerungen beim Synodalen Weg.
Unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass er beabsichtige, den Diözesanrat von einem Beratungs- zu einem Entscheidungsgremium zu machen, dokumentierte der Ruhrbischof seine Bereitschaft, den Forderungen nach innerkirchlicher Machtteilung und Demokratisierung Taten folgen zu lassen. Außerdem sollen auch wiederverheiratete Geschiedene im kirchlichen Dienst uneingeschränkt arbeiten können.
Den Vorschlag einer Bischofswahl durch das Domkapitel und alle Kirchenmitglieder des Bistums lehnte Overbeck aber mit dem Hinweis auf das preußische Konkordat von 1929 ab. Dieses Konkordat sieht für die Rechtsnachfolger Preußens, zu denen auch das Land Nordrhein-Westfalen gehört vor, dass die Mitglieder des Domkapitels auf der Grundlage eines päpstlichen Dreier-Vorschlags den Ortsbischof wählwn.
Bischof Overbeck besorgt über rechte Tendenzen in Kirchen
Bei der Übersetzung der Beschlüsse des Synodalen Weges in den Alltag der Ortskirche des Bistums Essen will Overbeck seiner Erkenntnis folgen, „dass die katholische Kirche viele unterschiedliche Menschen integrieren muss und auch integrieren kann“. Deshalb will Overbeck die Bistumspraxis des Synodalen Weges: „ohne ideologisch geführte Disskussionen mit einem guten Mittelmaß ein- und auspendeln, um den Laden zusammenzuhalten“ und sowohl die Reformeiferer als auch die Reformbremser mitnehmen zu können.
„Auch die konservativen Katholiken haben von mir noch nie zu hören bekommen, dass für sie in unserem Bistum kein Platz wäre. Aber ich sehe es nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern, mit großer Sorge, dass sich manche konservative Katholiken mit antidemokratischen Kräften auf der politischen Rechten verbinden, von den eine Gefahr für unsere liberale Demokratie ausgeht.“
Overbeck und Stetter-Karp berichteten von konservativen Katholiken, die vor dem Frankfurter Abschlussgottesdienst, lautstark mit den Parolen: „Wir folgen nur Rom“ und „Bätzing muss weg!“ gegen den Synodalen Weg protestierten und Todesanzeigen mit einem Foto des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz verteilt hätten. „Bisher hatte ich geglaubt“, so Stetter-Karp, „dass wir, anders als in den USA, in Deutschland keinen ideologisch spaltenden Kulturkampf haben.“
„Kirche darf in ethischen Fragen der Gesellschaftspolitik nicht leise werden“
Stetter-Karp und Overbeck waren sich angesichts entsprechender Erwartungen aus dem politischen Raum darin einig, „dass die Kirche in ethischen Fragen der Gesellschaftspolitik nicht leise werden darf, sondern kompetent und sprachfähig bleiben muss.“
Johanna Beck und Matthias Drobinski warnten davor, die Reformimpulse des Synodalen Weges „taktisch“ nutzen zu wollen, um die Zahl der Kirchenmitglieder wieder steigen zu lassen. „Es gibt da keinen um, zu-Mechanismus. Die Kirche muss einfach lebensdienlicher werden“, betonte Drobinski. Und Beck machte klar: „Nicht nur die Priester, sondern wir allen müssen von einem neuen Verständnis von Kirche ausgehen. Die Priester müssen von ihrem Sockel steigen oder vom Sockel gestoßen werden. Und sie müssen menschlicher werden, damit sie auch Fehler eingestehen können. Die Kirche darf nicht auf ihre Mitgliedszahlen starren. Sie muss evangeliumsgemäß vorleben, mit Leidenschaft in der Spur Jesu gehen und die Verletzten und Verwundeten in ihre Mitte stellen.“
Dialoge mit dem Bischof
Zum Auftakt der von der Bank im Bistum Essen unterstützen Veranstaltung der Wolfsburg hatte Akademiedozent und Moderator Dr. Jens Oboth, die zentralen Beschlüsse des Synodalen Weges folgendermaßen zusammengefasst: Die Gläubigen sollen ein Mitbestimmungsrecht in der Bestellung neuer Diözesanbischöfe bekommen. Rom soll eine Lockerung des Zölibats prüfen. Ein umfangreicher Maßnahmenkatalog für Prävention sexuellen Missbrauchs wurde auf den Weg gebracht. Laien, Frauen wie Männer, sollen in Eucharistiefeiern predigen dürfen.
Auch soll es ihnen erlaubt sein als außerordentliche Taufspender zu wirken und bei der Eheschließung zu assistieren. Ferner sollen sich die Bischöfe für die Zulassung von Frauen zum sakramentalen Diakonat auf weltkirchlicher Ebene einsetzen, jedenfalls für die Teilkirchen, in denen sie gewünscht ist. Außerdem sollen die Diskussionsergebnisse in den weltkirchlichen Diskurs eingebracht werden. Der Papst möge sich auch für eine Neubewertung von Homosexualität und der einschlägigen Lehre einsetzen. Die Kirche soll ihre Schuld gegenüber homosexuellen Menschen bekennen und diskriminierende Handlungen und Strukturen beenden.
Die deutschen Bischöfe sollen in Pastoral und Verwaltung die Belange trans und intersexueller Menschen berücksichtigen und auch hier diskriminierende Strukturen abschaffen und quere Menschen in ihrem Sosein vollumfänglich anerkennen. Die Bischöfe sollen die Grundordnung des kirchlichen Dienstes sowie die Musterordnung für die Verleihung der kirchlichen Unterrichtserlaubnis ändern, damit die persönlichen Lebensform Sexualität und Identität keine Rolle mehr im kirchlichen Dienst spielt. Alle Paare, die sich lieben, sollen den kirchlichen Segen empfangen dürfen. Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sollen dafür zusammen eine Handreichung für Segensfeiern erarbeiten.
Thomas Emons