Die Enzyklika „Humanae vitae“ lag schon im Jahr 1968 quer zum Zeitgeist. Die Kirche lehnte Verhütungsmittel ab und sah sexuelle Vereinigung, Liebe und Fortpflanzung als eine Einheit. Nun gibt es in Rom Absetzbewegungen.
Rom – Im Vatikan ist die „Päpstliche Akademie für das Leben“ der Ort, an dem Mediziner, Philosophen und Theologen über bioethische Fragen debattieren und Empfehlungen für das kirchliche Lehramt ausarbeiten sollen. Doch seit Papst Franziskus den italienischen Erzbischof Vincenzo Paglia zum Leiter der Institution gemacht hat, weht dort ein Wind der Veränderung.
Anders als die meisten seiner Vorgänger betont Paglia bei vielen strittigen Fragen Bereitschaft zum Dialog mit jenen, die klassische Lehrpositionen der Kirche infrage stellen – selbst bei Themen wie künstlicher Befruchtung oder Sterbehilfe. Mitunter beruft er Wissenschaftler in die Akademie, die liberale Positionen in der Bioethik vertreten.
Und so lud zum jüngsten römischen Kongress mit dem Titel „‚Mein Körper gehört mir.‘ Humanae vitae – die Kühnheit einer Enzyklika über Sexualität und Fortpflanzung“ nicht die Päpstliche Akademie, sondern eine konservative Stiftung, die den Namen des ersten Präsidenten der Akademie trägt – Jerome Lejeune. Paglia war nicht als Referent geladen; Hauptredner war der Präfekt der Glaubensbehörde, Kardinal Luis Ladaria.
Wie zuvor schon Johannes Paul II. (1978-2005) bezeichnete Ladaria die Fortpflanzungs-Enzyklika „Humanae vitae“ von 1968 als prophetisch – und füllte dies inhaltlich aus. Mit Blick auf jüngste Entwicklungen im Bereich Transgender-Medizin und Transhumanismus erklärte er, dass sich die Enzyklika nach 55 Jahren gerade jetzt als weitsichtig erweise. Denn ihre Anthropologie gehe davon aus, dass es eine untrennbare Verbindung zwischen der körperlich-seelischen Vereinigung zweier Menschen und der Fortpflanzung gebe. Freiheit und Natur ergänzten einander in diesem Menschenbild.
Dagegen stehe, damals wie heute, ein Denken, dass den Menschen als autonomes Subjekt sehe, das Gestalt und Zweck seiner eigenen Sexualität frei konstruieren könne. Die Haltung „Mein Körper gehört mir“ reduziere den Körper auf ein materielles Objekt, das auf Wunsch manipuliert und verändert werden könne. Nachdem man eine „Sexualität ohne Fortpflanzung“ akzeptiert habe, gebe es nun auch Fortpflanzung ohne Sexualität. Das Leben werde nicht mehr als Geschenk, sondern als Produkt angesehen.
Diese Anthropologie, so Ladaria weiter, finde sich auch in den postmodernen Ideologien von Genderdenken und Transhumanismus wieder. Die Identität der Person mit ihrem Körper werde geleugnet; stattdessen werde behauptet, dass sich die Person durch ihre geschlechtliche Orientierung identifiziere und den Körper demnach anpassen könne.
Höhepunkt dieses Denkens sei der Transhumanismus, der am Ende ein durch Biotechnologie gestaltetes Cyborg-Wesen schaffen wolle, das keinen natürlichen Bedingtheiten mehr unterliegt. Die einzig mögliche Antwort auf diese Ideologien sei die Wiederentdeckung der integralen Anthropologie der Person, wie sie die Enzyklika „Humanae vitae“ vorgedacht habe.
Deutlich andere Akzente setzte der italienische Kardinal Matteo Zuppi, dessen Grußwort beim Kongress verlesen wurde. Darin betonte er, die weithin unverstandene Botschaft von „Humanae vitae“ habe dazu geführt, dass viele Gläubige die Aussagen der Kirche zur Morallehre für irrelevant oder gar für ein Hindernis bei der Vermittlung des Glaubens hielten. Dieser „Graben“ werde immer größer und dürfe nicht übersehen werden.
Auch im Vorfeld der Weltsynode sei die Frage aufgeworfen worden, ob die Wegweisungen zu diesem Thema „in der derzeitigen Formulierung“ dem Glaubenssinn der Gläubigen entsprächen und wie sie eine Hilfe auf dem Glaubensweg der Menschen sein könnten. Auch Theologen debattierten derzeit über Möglichkeiten, die neue Perspektiven eröffnen könnten. Diese lebhafte Debatte begrüße er, so Zuppi in seinem Grußwort.
Ob es in nächster Zeit tatsächlich, wie von Zuppi angedeutet, zu „neuen Formulierungen“ in der kirchlichen Sexualmoral kommen wird, ist noch nicht ausgemacht. Nach der Verlesung des Grußwortes gab es langen Applaus. Viel wird nun davon abhängen, wer Nachfolger des 79-jährigen Ladaria an der Spitze der Glaubensbehörde wird.