In Russlands Krieg gegen die Ukraine spielt auch die orthodoxe Kirche eine Rolle. Auf Weisung von Wladmir Putin erhielt sie nun eine wichtige Ikone. Damit solle das Riesenreich vor Angreifern geschützt werden.
Moskau – Viele zweifeln an der Story, aber in Russland erzählt man sich bis heute dieses vermeintliche Wunder: Als die deutsche Wehrmacht 1941 im Zweiten Weltkrieg Moskau angriff, habe der sowjetische Diktator Josef Stalin befohlen, die Ikone der Gottesmutter von Wladimir in ein Flugzeug zu bringen und mit ihr über der Hauptstadt zu kreisen. Das habe die Niederlage abgewendet.
Theologin: Russischer Patriarch Kyrill I. ist verzweifelt
Daran wollten jetzt der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. und Kreml-Chef Wladimir Putin mit einer „symbolischen, sehr magischen Aktion“ anknüpfen, meint die orthodoxe Theologin Natallia Vasilevic. Sie ist davon überzeugt, dass nach Vorstellung des Patriarchen die Menschen künftig sagen werden: „Und dann gab Wladimir Putin die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit der Kathedrale und sofort änderte sich die Lage an der Front, die russische Armee begann zu siegen und Gott zeigte, dass er auf Russlands Seite steht.“ Denn am Samstag händigte die staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau die berühmte Ikone, die Andrei Rubljow wahrscheinlich zwischen 1422 und 1427 schuf, der russisch-orthodoxen Kirche aus. Genau darum hatte Kyrill I. Putin gebeten.
Seit Sonntag wird die Ikone in der Christ-Erlöser-Kathedrale gezeigt. Viele Russinnen und Russen wollen sie sehen und vor ihr beten. Der Patriarch pries Rubljows Werk als „sozusagen Hauptikone der russischen Kirche“. Zugleich verband Kyrill I. in einem Gottesdienst das „schicksalhafte Ereignis“ der Übergabe des „wundertätigen Bildes“ mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dass die Kirche die Ikone gerade jetzt bekomme, wo Russland „gewaltigen gegnerischen Kräften“ gegenüberstehe, geschehe nicht zufällig.
„Wir nehmen es als Zeichen der Gnade Gottes für unser Volk und unser Land und beten leidenschaftlich für unser Vaterland und unsere Kirche, damit der Herr das Volk und unser Land vor der Invasion von Ausländern, vor internem Streit und vor allem Verderben durch die Kraft der göttlichen Vorsehung bewahrt“, so der 76-Jährige. Er rief dazu auf, vor der Ikone für „unseren orthodoxen Präsidenten“ und die Armee zu beten. Von Frieden sprach er hingegen nicht.
Dreifaltigkeitsikone gilt eigentlich nicht als wundertätig.
Im Gegensatz zu bestimmten Gemälden der Gottesmutter gilt die Dreifaltigkeits-Ikone eigentlich nicht als wundertätig. Die Ikone wurde erst nach ihrer Restaurierung im 20. Jahrhundert sehr populär. Die Kirche sprach 1988 ihren Maler Rubljow heilig. „Er und seine Ikone wurden zu einem Markenzeichen russischer Spiritualität und Kultur auch im Ausland, wie Dostojewski oder das Ballett“, so Vasilevic zur Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Heute empfänden die Russen mit dem Meisterwerk Nationalstolz.
Die aus Belarus stammende Theologin schließt aus Kyrills Bitte um die Ikone, dass das Kirchenoberhaupt „sehr verzweifelt über den Verlauf der Militäroperation“ sei. Der Krieg entpuppe sich „nicht als Sieg, sondern als Niederlage“. Sie betont: „Meiner Meinung nach ist das Blasphemie, wenn man heilige Gegenstände für ethisch inakzeptable, böse und kriminelle Aktivitäten verwendet.“ Die Dreifaltigkeitsikone werde auch mit der „Liebe zu Fremden“ oder „Gastfreundschaft Abrahams“ verbunden. Für einen Krieg lässt sich das Meisterwerk also kaum instrumentalisieren.
Aus Anlass des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte der Patriarch im Herbst eigens ein Gebet für die sogenannte „Heilige Rus“ geschrieben. Das mittelalterliche Großreich Rus gilt als gemeinsamer Vorläuferstaat von Russland, der Ukraine und Belarus. Zuletzt erkannte Kyrill I. einem Geistliche die Priesterwürde ab, weil er bei Messen das Wort „Sieg“ durch das Wort „Frieden“ ersetzte.
Sorge um die Sicherheit des Kunstwerks
Unterdessen widersprachen sich Kyrill I. und die Tretjakow-Galerie bei der Frage, wie lange die Dreifaltigkeitsikone in der Kathedrale zu sehen sein wird. Sie müsse laut dem Vertrag spätestens am 19. Juni zurückgegeben werden, teilte die Galerie am Samstagabend mit. Das Kirchenoberhaupt sagte stattdessen, die Ikone werde ein Jahr lang im Hauptheiligtum gezeigt. Noch am Freitag hatte auch das Moskauer Patriarchat angekündigt, die Ikone könne nur bis zum 18. Juni täglich von 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr in der Kathedrale verehrt werden. Das Kulturministerium ging ebenfalls von zwei Wochen aus.
Aus Sorge um die Sicherheit des Kunstwerks wollte der Restaurationsrat der Galerie es nicht aus der eigenen Werkstatt herageben. Die Ikone befinde sich aktuell in einem „instabilen Zustand“ und müsse dringend restauriert werden, so die Fachleute Mitte Mai. Sie verwiesen darauf, dass die Ikone an 61 Stellen beschädigt gewesen sei, nachdem sie im Sommer 2022 im Dreifaltigkeitskloster bei Moskau ausgestellt wurde. Am Ende schloss die Galerie aber doch einen Vertrag über eine zeitweise Übergabe des Gemäldes.