Europa leidet unter einem drastischen Pflegeengpass. Die deutsche Politik setzt auf das Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland – die Caritas in Deutschland und der Schweiz auf andere, sozialverträglichere Lösungen.
Zürich/Paderborn (KNA) Bezahlbarer Wohnraum, Halbleiterchips, examinierte Pflegekräfte – was haben diese drei Dinge gemeinsam? Es gibt viel zu wenig davon. Um bei Letzterem Abhilfe zu schaffen, wirbt Deutschland gezielt Fachkräfte im Ausland an – Programme wie „Triple Win“ oder die „Westbalkanregelung“ sollen mit jährlich Zehntausenden Fachkräften den deutschen Engpass auffangen.
Auf Dauer sei das keine gute Lösung, findet Claudia Menebröcker, Referentin beim Diözesan-Caritasverband Paderborn. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir weltweit alles einkaufen können, was wir brauchen“, kritisiert sie. „Langfristig müssen wir eigene Lösungen finden. Denn die abgeworbenen Pflegefachkräfte fehlen in ihrer Heimat.“
In Paderborn verfolgt die Caritas seit 2009 mit „CariFair“ einen anderen Ansatz. Frauen und Männer aus Polen werden als Haushalts- und Betreuungskräfte nach Deutschland vermittelt. „Hilfskräfte, keine examinierten Fachkräfte“, betont Menebröcker. „Die Betreuerinnen, die wir vermitteln, sind in der Regel 50plus und haben keine Chance auf dem polnischen Arbeitsmarkt.“
Ziel sei es, den Bedarf an Betreuung hierzulande zu decken, ohne dabei einen sogenannten Brain Drain in Drittstaaten zu verursachen. Etwa 300 Familien begleite die Caritas derzeit – Nachfrage steigend.
Einen anderen Weg geht die Schweizer Caritas. In Zusammenarbeit mit Rumänien und der Slowakei werden Pflegekräfte hierhin quasi ausgeliehen. Sie haben eine feste Anstellung in beiden Ländern, arbeiten nur zeitweise in der Schweiz.
„Hier kann ich mich wirklich um den Menschen kümmern, zu Hause ist mein Job bürokratischer. Die Abwechslung gefällt mir sehr gut“, sagt Reka Bartis. Die 38-jährige Rumänin kommt etwa alle drei Monate in die Deutschschweiz, momentan ist sie in Baden. Ihr erster Aufenthalt brachte sie 2016 nach Bern. Ihr großer Vorteil: Sie arbeitet seit 15 Jahren als Sozialarbeiterin in ihrer Heimat – „dort musste ich immer wieder deutsch sprechen“, berichtet Bartis.
Die ausgebildete Altenpflegerin ist neben der Betreuung einer älteren Dame auch Ansprechpartnerin für andere Landsleute, die für die Caritas in der Schweiz arbeiten. „Wir sind hier in einer geschützten Umgebung mit geregelten Arbeitszeiten und deutlich besserem Gehalt.“
Die Familien der rumänischen Frauen profitieren enorm davon, sagt auch die Schweizer Caritas-Sprecherin Gudrun Michel. „Das gute Gehalt gibt ihnen finanzielle Sicherheit, ohne dass sie lange Zeit voneinander getrennt sind.“
In der Schweiz sind die Betreuerinnen direkt bei der Caritas angestellt – ein sozialversicherungspflichtiger Job, Krankenkasse und Arbeitnehmerschutz inklusive. Bei einer großen Dunkelziffer von osteuropäischen Pflegekräften, die im deutschsprachigen Raum arbeiten, sehe das anders aus.
„Wir gehen von etwa 90 Prozent Schwarzarbeit in der Live-In-Betreuung – der 24-Stunden-Pflege – in Deutschland aus“, bestätigt Claudia Menebröcker. Das liege allerdings nur bedingt am Fachkräftemangel. Für die meisten Familien sei die Betreuung zu Hause schlichtweg nicht bezahlbar. Die Caritas vermittelt die Betreuungskräfte direkt an die Familien als Arbeitgeber; bei diesem Modell entstehen monatliche Kosten von rund 3.000 Euro. Davon gehen 2.300 Euro brutto an die pflegerische Hilfskraft – der Rest in die Sozialversicherung und als Steuern an den Staat. Schwarzarbeit ist schon deshalb viel günstiger, sagt Menebröcker.
Ein Teil der rund 250 Vermittlungsagenturen, die auf dem deutschen Markt osteuropäische Hilfskräfte vermitteln, spart sich die Sozialversicherungskosten. Die Betreuerin wird als Selbstständige in den Familien beschäftigt und muss sich selbst um ihre Sozialversicherung und die Abführung von Steuern kümmern.
Langfristig müsse die Politik dafür Sorge tragen, dass Pflege hier wieder bezahlbar und für junge Menschen attraktiv wird, sagt Menebröcker. Es bräuchte aber auch neue Wege zur Unterstützung und Begleitung von Menschen mit Pflegebedarf. Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit dem Abwerben von Fachkräften aus dem Ausland bekämpfe man nur Symptome – das Grundproblem bleibe unangetastet.