Historiker: Vatikan früh über Judenvernichtung informiert

Papst Pius XII. (1939-1958) wurde offenbar noch früher und umfassender über die Massenvernichtung der Juden im Deutschen Reich informiert als bislang bekannt.
 Papst Pius XII. (1939-1958) wurde offenbar noch früher und umfassender über die Massenvernichtung der Juden im Deutschen Reich informiert als bislang bekannt.

Statue von Papst Pius XII. in Fatima in Portugal. -Foto: © Joaquin Ossorio Castillo | Dreamstime.com

Papst Pius XII. (1939-1958) wurde offenbar noch früher und umfassender über die Massenvernichtung der Juden im Deutschen Reich informiert als bislang bekannt. Der italienische Historiker Michele Sarfatti präsentierte bei einem Fachkongress an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom eine Reihe von Dokumenten, die dies nahelegen. Sarfatti zufolge war das vatikanische Staatssekretariat die staatliche Behörde in Europa, die mehr Informationen über die massenhafte Vernichtung von Juden erhielt als jede andere der Zeit.

Neben Verfolgten und jüdischen Verbänden hätten auch Geistliche aus den betroffenen Gebieten sowie die päpstlichen Diplomaten den Vatikan zahlreiche Informationen zukommen lassen. Dabei hätten auch die Militärgeistlichen, die italienische Soldaten an der Ostfront betreuten, eine bislang noch zu wenig beachtete Rolle gespielt. Sie hätten vieles von dem, was sie dort gesehen oder gehört hatten, nach Rom berichtet.

Insgesamt seien mehr als die Hälfte aller im Dritten Reich getöteten Juden im Jahr 1942 ermordet worden. Laut Sarfatti trafen bereits im Frühjahr 1942 mehrere Briefe beim Staatssekretariat ein, die von „Massenerschießungen“ und von „Tötungen bis hin zur Ausrottung der jüdischen Bevölkerung“ in Osteuropa berichteten.

Am 12. Juli 1942 habe der Papstbotschafter in Polen in einem Brief an die Zentrale im Vatikan erstmals geschrieben, dass laut einem Bericht der polnischen Regierung Juden in Gaskammern ermordet wurden. Dies ist laut Sarfatti das nach jetzigem Forschungsstand früheste Dokument im Vatikan, das glaubhaft von Gaskammern spricht.

Der Historiker berichtete weiter, dass mehrere Papstbotschafter aus europäischen Hauptstädten bereits am 12. September 1942 in einem gemeinsamen schriftlichen Vorstoß beim Staatssekretariat eine vatikanische Intervention gegen die grausame Besatzungspolitik forderten, die zur Ausrottung ganzer Bevölkerungsteile führen könne. Auch in diesem Schreiben sei von Gaskammern die Rede.

Am 7. November habe der Nuntius in Berlin, Erzbischof Cesare Orsenigo, dem Kardinalstaatssekretär von bevorstehenden Deportationen in Deutschland berichtet und den Vatikan indirekt aufgefordert zu intervenieren, da „die internen Kräfte“ der Bischöfe in Deutschland nicht ausreichten, um dies zu stoppen. Schließlich habe am 14. Dezember der deutsche Jesuit Lothar König in einem Brief an den päpstlichen Privatsekretär Robert Leiber erstmals von „Hochöfen der SS“ geschrieben, in denen täglich Tausende vernichtet würden.

Die einzige öffentliche Reaktion des Papstes sei seine Weihnachtsansprache vom 24. Dezember 1942 gewesen, in der er beklagte, dass „Hunderttausende Unschuldige bisweilen nur wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung dem Tode geweiht sind“. – Der dreitägige Fachkongress über die Rolle von Pius XII. im Zweiten Weltkrieg endete an diesem Mittwoch.