Nach Ansicht der Psychologin Ute Habel können Menschen, die durch sexuelle Gewalt traumatisiert sind, mit Entschädigungszahlungen nicht geheilt werden.
Aachen – Nach Ansicht der Psychologin Ute Habel können Menschen, die durch sexuelle Gewalt traumatisiert sind, mit Entschädigungszahlungen nicht geheilt werden. „Geld ist keine therapeutische Art, mit einem Trauma umzugehen“, sagte die Leitende Psychologin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) am Donnerstagabend in Aachen. Eine solche Zahlung könne „höchstens eine Anerkennung des Opferstatus darstellen“.
Erschreckend ist nach Auffassung der Psychologin die Erkenntnis, dass diejenigen, die Opfer schweren Missbrauchs geworden sind, später häufig selbst zu Tätern würden. Das gelte aber längst nicht für alle. Habel sprach bei der Ringvorlesung „Wiedervorlage: Aufarbeitung (Macht)Missbrauch“ über das Thema „Psychische Folgen von Gewalt und Traumatisierung“.
Signifikant häufiger Suizidgedanken
Habel berichtete von einer Untersuchung ihres Instituts, bei der 5.000 Patienten des Aachener Uniklinikums befragt worden waren. Dabei stellte sich heraus, dass 41 Prozent der Befragten substanzielle Gewalt erfahren hatten – etwa je zur Hälfte Frauen und Männer. Ein weiteres Ergebnis sei: Patienten mit Gewalterfahrungen neigen signifikant häufiger zu Suizidgedanken, Selbstverletzungen, Medikamentenmissbrauch oder Alkoholismus.
Bei Interviews mit 500 verurteilten Gewalttätern hätten darüber hinaus 425 Personen angegeben, selbst Gewalt erlebt zu haben. „Zu den Vorhersagevariablen sexueller Gewalt gehört die sexuelle Opfer-Erfahrung“, erklärte Habel. Diese Art der Gewalt sei oft aus dem Bekanntenkreis gekommen. „Alle menschengemachten Traumata sind sehr viel schwerwiegender als andere Traumata“, hob die Psychologin hervor. „50 bis 55 Prozent der Opfer einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Missbrauchs entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung.“
Häufiger gesundheitliche Folgen
So zeigten Untersuchungen, dass körperlicher und sexueller Missbrauch häufiger gesundheitliche Folgen wie Herzerkrankungen, Krebs, Drogenmissbrauch, Depression, Aggression, Hirnveränderungen, veränderten Stoffwechsel oder chronische Entzündungen habe. „Opfer erleben da, wo sie ausgeschlossen sind, mehr Ärger und Stress, sind überhaupt durchgängig emotional stärker gestresst“, so die Psychologin.
Sehr unterschiedlich seien Möglichkeiten, mit einem Trauma umzugehen. Innerhalb von vier Wochen komme es zu einer akuten Belastungsreaktion, die Belastungsstörung könne aber bis zu 20 oder gar 40 Jahren dauern. „Je jünger jemand bei dem erlittenen Trauma war, umso gefährlicher“, fügte Habel hinzu.
Besser verarbeiten und widerständiger werden dagegen Menschen mit starkem Selbstwertgefühl, Humor oder der Fähigkeit zur Anpassung. Letztlich könne es so zu einer posttraumatischen Reifung kommen. Leichter gelingt dies laut Habel Menschen mit einem stärkeren Glauben, die neue Möglichkeiten entdecken oder andere Prioritäten setzen könnten.