Berlin. Der Psychiater Klaus Lieb dringt auf eine bessere psychologische Versorgung für schwache gesellschaftliche Gruppen. Es sei „nicht unwahrscheinlich“, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise zu einem „starken Zuwachs an Depressionen und Suiziden“ führen werden, sagte er der „Welt“ (Donnerstag). Besonders verletzliche Gruppen, etwa Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende oder arme Menschen, hätten „viel schlechtere Zugänge zu Hilfen“ als besser situierte Menschen.
Zu rechnen sei auch damit, dass Krankheitsverläufe sich verschlechtert hätten, weil die Versorgung während der Beschränkungen nicht immer optimal gewesen sei, fügte der Experte hinzu. „Die Einschränkungen haben insgesamt zu einer erhöhten Ängstlichkeit, Depressivität, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit in der Bevölkerung geführt“, so das Ergebnis von Befragungen des Forschers. Besonders habe dies Alleinstehende getroffen, Alleinerziehende oder psychisch erkrankte Menschen mit wenig sozialer Unterstützung. „Wichtig ist, dass sich Menschen in solchen Situationen schnell an die Telefonseelsorge, psychologische Dienste oder auch psychiatrische Krankenhäuser wenden.“
Zugleich hätten andere Befragte weniger Alltagsstress erlebt, erklärte Lieb. „Jeder reagiert eben anders.“ Menschen seien oft zu mehr in der Lage, als sie selbst glaubten. So könne es helfen, eine feste Tagesstruktur aufrecht zu erhalten, ausreichend zu schlafen, soziale Kontakte zu pflegen und auf sich selbst zu achten. Auch zu starker Medienkonsum habe laut den Studien „eindeutig“ die Angst und Verunsicherung gesteigert.