Bischofswahl: Eklat in Chur

Wahl-Desaster im Bistum Chur. Über Monate versuchte der päpstliche Nuntius Erzbischof Thomas Gullikson vergeblich, eine konservative Kandidatenliste aus Rom zu erwirken. Es kam eine moderate – und das Kapitel wählt nicht.
Wahl-Desaster im Bistum Chur. Über Monate versuchte der päpstliche Nuntius Erzbischof Thomas Gullikson vergeblich, eine konservative Kandidatenliste aus Rom zu erwirken. Es kam eine moderate - und das Kapitel wählt nicht.

(Symbolfoto: marcelkessler/ Pixabay)

Eklat bei der Bischofswahl in Chur: Das Domkapitel des zerstrittenen Schweizer Bistums hat am Montag nun doch keinen neuen Bischof gewählt. Die konservativen Mitglieder um Generalvikar Martin Grichting lehnten die vom Vatikan vorgelegte Dreierliste der Kandidaten als zu moderat ab, wie ein Insider dem Portal kath.ch berichtete. Domherren sprachen laut Schweizer Medien von einem unerhörten und einmaligen Vorgang.

Liste geht zurück nach Rom

Die Liste geht jetzt zurück nach Rom. Dort kann Papst Franziskus nun selbst den neuen Bischof ernennen, ohne weiter Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Domherren zu nehmen. Das Bistum Chur ist seit vielen Jahren innerkirchlich gespalten. kath.ch berichtet über eine angeblich eisige Stimmung unter den 22 Domherren.

Auf der Dreierliste des Papstes, so heißt es, standen der Churer Offizial Joseph Bonnemain (72), der Abt von Disentis Vigeli Monn (55) und der Tessiner Mauro Giuseppe Lepori (61), früher Abt von Hauterive und derzeit Generalabt der Zisterzienser in Rom. Die drei gelten als gemäßigte und nicht progressive Kandidaten; Bonnemain gehört sogar der konservativen Organisation Opus Dei an. Generalvikar Grichting soll den Domherren vorgeschlagen haben, die Liste zurückzuweisen.

Bischofssitz seit Mai 2019 vakant

Laut dem Churer Reglement macht Rom einen Vorschlag mit drei Kandidaten. Daraus hätten die derzeit 22 Domherren den künftigen Bischof wählen können. Weil das Domkapitel von diesem Privileg keinen Gebrauch gemacht hat, kann nun Papst Franziskus seinen Wunschkandidaten frei ernennen. Der Bischofssitz ist seit dem altersbedingten Amtsverzicht des konservativen Vitus Huonder (78) im Mai 2019 vakant. Übergangsbischof Peter Bürcher (74) leitet die Diözese als Interimsverwalter (Apostolischer Administrator).

Schon der Wahltermin am Vormittag war für alle sehr überraschend gekommen. Offenbar wurde man im Bistum selbst von den Ereignissen überrannt: Das Ordinariat wies auf der Homepage nicht auf das Ereignis hin. Auch fand sich nirgends ein (sonst üblicher) Gebetsaufruf für ein gutes Gelingen der Wahl.

„Tradition außer Kraft gesetzt“

Dem Luzerner Kirchenhistoriker Markus Ries war schon diese Eile unheimlich. Eigentlich stellt eine Bischofswahl ein bedeutendes Ereignis dar – vor der es, so Ries, auch eine öffentliche sogenannte Votivmesse mit dem besonderen Anliegen der Wahl geben müsste. “Weil der Heilige Stuhl diese Bischofswahl an sich gezogen hat und die Nuntiatur in Bern das Szepter übernommen hat, wurde die Tradition außer Kraft gesetzt”, so der Historiker.

Nach dem gemeinsamen Gebet von Domkapitel und Gläubigen bleiben letztere gemäß der Tradition in der Kathedrale und begleiten mit ihrem Gebet die Wahl. Danach würde dann der gewählte Bischof dem Kirchenvolk in der Kathedrale vorgestellt. In Chur ist aber alles anders gelaufen – alles. Ob das Gebet der Gläubigen vor dem Wahl-Eklat gefehlt hat?

Jahrelanger Konflikt

Schon bei vergangenen Wahlen war in Chur vieles schiefgelaufen, das dem Bistum und auch dem Vatikan später schmerzhaft auf die Füße fiel. 1988 – Bischof Johannes Vonderach war damals 72 Jahre alt – ernannte Papst Johannes Paul II. den erst 40-jährigen Churer Bistumskanzler Wolfgang Haas zum Koadjutor (Helfer des Bischofs) mit Nachfolgerecht. Das Wahlrecht des Domkapitels war damit umgangen – und ein jahrelanger Konflikt begann.

Haas wurde 1990 mit Vonderachs Pensionierung automatisch Bischof, Dagegen liefen die Katholiken Sturm, denn der vom Vatikan direkt Ernannte stieß durch konservative Haltung und Personalentscheidungen die an Mitbestimmung gewöhnte Herde vor den Kopf. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen versetzte Johannes Paul II. den heute 72-jährigen Haas im Dezember 1997 ins eigens neu geschaffene Erzbistum Vaduz im Zwergstaat Liechtenstein.

Wunsch nach Brückenbauer

Nach einem Jahrzehnt, in dem Haas’ Nachfolger Amedee Grab viele der entstandenen Gräben zuschütten konnte, verlief die Wahl 2007 zumindest äußerlich so wie für das Bistum Chur vorgesehen: also mit einer Liste aus Rom (“Terna”), aus der das Domkapitel einen Kandidaten auswählen kann. Der einstige Kölner Kardinal Josef Frings (1887-1978) sagte freilich einmal mit sehr drastischen Worten über dieses Verfahren, auf der Liste stünden stets zwei Zählkandidaten. So war es auch 2007 in Chur, als zwei im Bistum Unbekannte benannt waren – und der konservative Generalvikar Vitus Huonder. Domkapitular Franz Stampfli wertete dies als faktische Aushebelung des Wahlrechts – weil eigentlich keiner der drei wählbar gewesen sei.

Ventiliert worden waren in den vergangenen Monaten viele Namen, darunter auch praktisch die gesamte konservative Führungsriege aus der Amtszeit Huonders (2007-2019). Dass der zum Jahreswechsel scheidende vatikanische Nuntius, Erzbischof Thomas Gullickson, einen solchen Kandidaten bevorzugt, gilt in der Schweiz als ein offenes Geheimnis. Viele im Bistum wünschen sich dagegen einen neuen Bischof, der es wie der 2019 gestorbene Benediktiner Grab verstünde, die hohen Wogen zu glätten. Doch das Wahlgremium hatte offenbar etwas dagegen.

Von Alexander Brüggemann und Raphael Rauch (KNA)