Woelki vom Vatikan noch nicht entlastet

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist  bislang vom Vatikan noch nicht vom Vorwurf der Pflichtverletzung entlastet worden.
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bislang vom Vatikan noch nicht entlastet worden. Bislang gibt es demnach keine offizielle Nachricht darüber vor, ob Woelki aus Vatikansicht seine Pflicht verletzte, als er 2015 davon abgesehah, Missbrauchsvorwürfe gegen einen befreundeten Priester der Glaubenskongregation in Rom anzuzeigen.

Kardinal Rainer Maria Woelki –Foto: ran

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bislang vom Vatikan noch nicht entlastet worden. Bislang gibt es demnach keine offizielle Nachricht darüber vor, ob Woelki aus Vatikansicht seine Pflicht verletzte, als er 2015 davon abgesehah, Missbrauchsvorwürfe gegen einen befreundeten Priester der Glaubenskongregation in Rom anzuzeigen.

Der Münsteraner Bischof Felix Genn hatte diesen Sachverhalt im Dezember 2020 pflichtgemäß in Rom angezeigt. Das von Papst Franziskus erlassen Regelwerk sieht für eine erste Reaktion eine Frist von 30 Tagen vor. Diese Frist ist inzwischen um mehr als zwei Monate überschritten, ohne dass in Münster oder Köln ein Schreiben der zuständigen Bischofskongregation vorläge. Dies bestätigten beide Bistümer der Zeitung.

Gutachter bezeichnete Woelki als vollumfänglich entlastet

Bei der Vorstellung des Kölner Missbrauchsgutachten am 18. März hatte der Kölner Strafrechtlers Gercke erklärt, der Vatikan habe Kardinal Woelki hinsichtlich seines Vorgehens im Fall O. „entlastet“. Gercke sagte, mit dem Gutachten sei der Kardinal im Fall O. vollumfänglich entlastet. Gercke erklärte, Woelki habe den Fall nach Kenntnisnahme nicht mehr anzeigen müssen, da der Beschuldigte 2015 schwer erkrankt und nicht mehr ansprechbar gewesen sei. Im weltlichen Strafrecht spreche man in solchen Fällen von „nicht mehr vernehmungsfähig“. Das Kirchenrecht sieht indes die Möglichkeit nicht vor, dass ein Amtsträger sich mit welcher Begründung auch immer von der Anzeigepflicht dispensiert, betonen indes Kirchenrechtler. Woelki selbst sprach von einem schweren Fehler, den er begangen habe.

Anfang Februar war bekannt geworden, dass der Vatikan offenbar keine kirchenrechtlichen Schritte gegen den Kölner im Fall des verstorbenen Priesters O. plane. Nach Einschätzung der zuständigen römischen Kurienbehörde musste Woelki den Verdacht des Missbrauchsfalls 2015 nach damals geltendem Recht nicht zwingend nach Rom melden. Eine entsprechende Einschätzung der Römischen Glaubenskongregation ging vergangene Woche an die Bischofskongregation, die um eine Beurteilung gebeten hatte. Dies hatte die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) aus dem Umfeld der Kurie erfahren.

Bedingungslose Meldepflicht

Woelki wird von Kritikern zur Last gelegt, dass er den Fall des Priesters O. 2015 nach seinem Amtsantritt in Köln zwar zur Kenntnis genommen, aber eine kirchenrechtliche Voruntersuchung und eine Meldung nach Rom unterlassen habe. Der Kardinal begründete dieses Vorgehen mit der damals schon weit fortgeschrittenen Demenz des ehemaligen Pfarrers, die eine Befragung unmöglich machte. Eine bedingungslose Meldepflicht, wie sie spätestens seit 2020 vorgeschrieben ist, habe damals noch nicht gegolten, heißt es dazu aus Rom. Ob es „klug war“, den Fall nicht zu melden, sei „allerdings eine andere Frage“.

Nach wachsender öffentlicher Kritik hatte Woelki Mitte Dezember den Vatikan um Prüfung gebeten. Da ihm selbst kein Missbrauch vorgeworfen wird, sondern falscher Umgang mit einem Verdachtsfall, ist die Bischofskongregation zuständig. Wann sie ihre Entscheidung mitteilt und ob es darin nur um den Fall von 2015 geht oder um mehr, ist offen. Möglich ist, dass der Vatikan erst noch die vom Erzbistum Köln angekündigte Veröffentlichung von Gutachten Mitte März abwarten will.

Kirchenrechtler spricht von „Willkürjustiz“

Ob die Kongregation die Beteiligten in Deutschland bereits über einen Zwischenstand informiert hat, ist nicht bekannt. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller kritisierte bereits im Februar den Vatikan. „Die Glaubenskongregation ignoriert auf groteske Weise die im Jahr 2010 von Papst Benedikt XVI. festgelegten Rechtsnormen zum Umgang mit sexuellem Missbrauch“, so Schüller seinerzeit.  „Um Woelki zu retten, wird der frühere Papst geopfert, seine Gesetzgebung ad absurdum geführt. Das ist Willkürjustiz.“

Auch andere Kirchenrechtler hatten schon vor der mutmaßlichen römischen Entscheidung erklärt, dass Woelki den Fall eigentlich hätte nach Rom melden müssen. Selbst ohne kirchenrechtliche Voruntersuchung in einem Bistum müsse es eine Information an Rom geben, sagte etwa der Münsteraner Wissenschaftler Klaus Lüdicke der KNA. Das Kirchenrecht verlange „nicht den Bericht über die Voruntersuchung, sondern über die Kunde von der Straftat“.

Unter Kirchenjuristen strittig

In den römischen Bestimmungen von 2010 heißt es wörtlich: „Wann immer der Ordinarius oder Hierarch eine mindestens wahrscheinliche Nachricht über eine schwerwiegendere Straftat erhält, muss er nach Durchführung einer Voruntersuchung die Kongregation für die Glaubenslehre darüber informieren.“ Ob aber gemäß dieser Normen 2015 eine Meldung nach Rom selbst dann zwingend erforderlich war, wenn eine Voruntersuchung nicht mehr möglich war, scheint unter Kirchenjuristen strittig zu sein.

Das in der vergangenen Woche veröffentliche Missbrauchsgutachten der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger sieht keine Pflichtverletzung Woelkis in dem Fall. Nach damaliger Rechtslage sei dies – anders als heute – nicht zwingend gewesen. Dagegen bewertet die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) Woelkis Verhalten als pflichtwidrig. In dem vom Erzbistum Köln zurückgehaltenen WSW-Missbrauchgutachten, in das Interessierte derzeit Einsicht nehmen können, sei der Fall wegen der besonderen Umstände dennoch nicht öffentlich dargestellt worden, sagte Anwalt Ulrich Wastl auf Anfrage. Er verwies auf den Gesundheitszustand des Beschuldigten und die deshalb aller Voraussicht nach zu erwartende Entscheidung der Glaubenskongregation. „Wäre uns die Tatsache der engen Verbindung des Erzbischofs zu dem beschuldigten Pfarrer bekannt gewesen, hätten wir uns aller Voraussicht nach für eine Darstellung des Falls im zu veröffentlichenden Gutachten entschieden“, so Wastl. „Das Ergebnis unserer Bewertung des Verhaltens des Erzbischofs als bloßer Formalverstoß hätte sich jedoch, vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse, nicht geändert.“

rwm/kna

Link: Kölner Missbrauchsgutachten