Mit einem zwei Milliarden Euro teuren Förderkonzept will der Deutsche Lehrerverband die im Corona-Jahr entstandenen Lernlücken bei Schülerinnen und Schülern ausgleichen.
Berlin – Mit einem zwei Milliarden Euro teuren Förderkonzept will der Deutsche Lehrerverband die im Corona-Jahr entstandenen Lernlücken bei Schülerinnen und Schülern ausgleichen. Im Zentrum des Papiers, über das die Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag) berichten, stehen dabei zwei Instrumente: Erstens eine individuelle, das nächste Schuljahr begleitende Zusatzförderung für Kinder mit eher geringen Rückständen. Und zweitens das Angebot eines freiwilligen zusätzlichen Lernjahres für diejenigen mit größeren Defiziten. Dies könne entweder als von zusätzlicher Förderung begleitetes Wiederholen des vergangenen Jahres geschehen oder in eigenen Lerngruppen für wiederholende Schüler mit angepasstem Lehrplan.
Zusätzliche Personal
Das dafür nötige zusätzliche Personal soll laut Verband aus verschiedenen Gruppen kommen: Lehramtsstudierende, in Teilzeit arbeitende Lehrkräfte, die durch „attraktive Bedingungen“ zur Aufstockung motiviert werden sollen und pensionierte Lehrerinnen und Lehrer. Außerdem könnten Schulen mit externen Partnern und Institutionen zusammenarbeiten wie privaten Nachhilfeanbietern, Volkshochschulen und Jugendämtern.
Für die Umsetzung fordert der Verband ein Bund-Länder-Programm in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro bis zum Sommer 2022, „analog dem Digitalpakt“, wie es im Papier heißt. „In diesem Schuljahr wird es mit einer Nachholförderung nichts mehr, wer das behauptet, ist schief gewickelt“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger den Zeitungen. Man müsse sich jetzt an den Schulen die Zeit nehmen, zu schauen, wo die Kinder stehen, und dann Beratung anbieten. „Im Grunde müssten wir im Mai wissen, was für Fördermöglichkeiten im nächsten Jahr da sind. Es muss jetzt wirklich zügig gehen.“
Große Spielräume für Schulen
Schulen sollen dabei nach dem Vorschlag in der Umsetzung möglichst große Spielräume haben und unter anderem Lehr- und Stundenpläne anpassen können. „In dieser Frage ist eine total zentrale Steuerung nicht zielführend“, erklärte Meidinger. 400 bis 600 Unterrichtsstunden konnten im vergangenen Jahr nach Schätzungen des Lehrerverbandes nicht in Präsenz abgehalten werden – in der Spitze entspreche das etwa einem halben Schuljahr. Und auch wenn der Distanzunterricht inzwischen besser funktioniere, seien die Lernfortschritte auf diese Art trotzdem geringer, heißt es im Papier.
Meidinger geht davon aus, dass etwa ein Fünftel der Schüler im vergangenen Jahr „stark abgehängt“ wurde. Etwa die Hälfte von diesen brauche wohl ein zusätzliches Schuljahr, um aufzuholen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte kürzlich ein Nachhilfeprogramm mit einem Volumen von einer Milliarde Euro angekündigt.
Forderung nach mehr Hilfen
Bildungsgewerkschaft GEW und der Kinderschutzbund warnen vor der Benachteiligung der aktuellen Schulabschlussjahrgänge auf dem Ausbildungsmarkt: „Die Politik darf nicht zusehen, wie Jugendliche in die künftige Arbeitslosigkeit abgleiten“, sagte der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Sonntag).
Es sei zu befürchten, dass wegen der Pandemie vor allem die Chancen leistungsschwächerer Schüler auf dem Ausbildungsmarkt sinken, so Hilgers. Insbesondere die Branchen, die oft „nicht zwingend ein super Zeugnis verlangen“, steckten gerade in der Krise und hätten ihr Ausbildungsangebot deutlich reduziert. Als Beispiele nannte Hilgers die Gastronomie, den Einzelhandel oder das Friseurgewerbe.
„Die Arbeitgeber wissen, dass es Bildungslücken gibt.“
Zudem wüssten auch die Unternehmen von den Nachteilen des aktuellen Distanzlernens, ergänzte Hilgers. Er befürchte, dass die Zeugnisse der Schulabgänger bei potenziellen Ausbildern nicht sonderlich wertgeschätzt würden: „Die Arbeitgeber wissen, dass es Bildungslücken gibt.“
Bund und Länder müssten jetzt außerbetriebliche Angebote aufstocken und vorsorgen, damit nicht im Sommer viele Jugendliche die Schule ohne Ausbildungsplatz verlassen und erst wieder nach sechs Monaten oder einem Jahr die Aussicht auf eine Ausbildung haben: „Je länger die Pause zwischen Schulschluss und Ausbildungsbeginn ist, desto stärker sinken die Chancen für die Betroffenen.“
Mehr Unterstützung für Hauptschüler
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte mehr Unterstützung für Hauptschüler. „Mich wundert, dass wir immer nur über das Abitur reden“, sagte GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann. Gerade Gymnasiasten kämen meist aus der Mittelschicht und verfügten über eine bessere Infrastruktur zum Lernen als materiell schlechter gestellte Schüler. Benachteiligt würden die aktuellen Abschlusslehrgänge aller Schultypen auch durch fehlende Präsenz-Berufsberatung und durch fehlende Kontakte zu Betrieben, die sonst über Praktika entstehen.
Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte zugleich einen deutlichen Rückgang an verfügbaren Lehrstellen: Bis März seien 412.600 betriebliche Ausbildungsstellen gemeldet worden und damit sieben Prozent weniger als im Vorjahr. Grund seien vor allem die Pandemie und die damit verbundenen wirtschaftlichen Einschränkungen.
kna