EKD: Beteiligung von Betroffenen vorerst gescheitert

Erst im vergangenen September hatte der Betroffenenbeirat der EKD zur Aufarbeitung von Missbrauch seine Tätigkeit aufgenommen. Nun steht er vor dem Aus. Was ist schiefgelaufen?
Erst im vergangenen September hatte der Betroffenenbeirat der EKD zur Aufarbeitung von Missbrauch seine Tätigkeit aufgenommen. Nun steht er vor dem Aus. Was ist schiefgelaufen?

Heinrich Bedford-Strohm (Foto: Spernol)

Erst im vergangenen September hatte der Betroffenenbeirat der EKD zur Aufarbeitung von Missbrauch seine Tätigkeit aufgenommen. Nun steht er vor dem Aus. Was ist schiefgelaufen? „Dass Sie bereit sind, im Beirat anderen Betroffenen, die angesichts des erlittenen eigenen Leids nicht die Kraft oder Möglichkeit dazu haben, ihre Anliegen in der Öffentlichkeit zu vertreten, eine Stimme zu verleihen, trägt auch dazu bei, künftiges Leid zu verhindern“, so hatte es die damalige Sprecherin des Beauftragtenrats der evangelischen Kirche, Bischöfin Kirsten Fehrs, erklärt. Jetzt verkündete die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Beteiligung von Betroffenen neu auszurichten und den Beirat in seiner derzeitigen Form aufzulösen. Zuvor hatten Betroffene der EKD eine Scheinbeteiligung vorgeworfen. Fünf Mitglieder des zwölfköpfigen Gremiums waren bereits ausgetreten.

 „Opferverachtende und menschenfeindliche“ Aufarbeitung

Lange hatte sich die evangelische Kirche mit einer bundesweit einheitlichen Aufarbeitung von Missbrauch in ihren eigenen Reihen schwer getan. Mangelndes gemeinsames Vorgehen wurde mit der Selbstständigkeit der Landeskirchen begründet. Das änderte sich erst 2018, als der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zu einem Hearing über Missbrauch und Kirchen nach Berlin einlud. Neben dem Missbrauchsbeauftragten der katholischen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, war dort auch Bischöfin Fehrs zu Gast. Sie wurde wenige Wochen später Sprecherin eines Beauftragtenrats zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in der EKD. Ein Jahr später lud die Synode die Betroffene Kerstin Claus ein, die als Jugendliche von einem evangelischen Pfarrer missbraucht worden war.

Die EKD richtete eine bundesweite Anlaufstelle für Betroffene ein und gab im vergangenen Jahr eine Studie zur Aufarbeitung von Missbrauch in Auftrag. Schließlich rief sie Betroffene dazu auf, sich zur Mitarbeit in einem Beirat zu melden. Dies geschah – diese Erfahrung macht auch die katholische Kirche – nur zögerlich. Für viele Opfer von Missbrauch ist eine solche Beteiligung aufgrund ihrer Erfahrungen nicht vorstellbar. Nach der Konstituierung des Betroffenenbeirats im September gab es immer wieder Kritik von Mitgliedern an den Beteiligungsmöglichkeiten. Es fehle weiterhin an verbindlichen und überprüfbaren Standards im Umgang der Kirche mit den Betroffenen, so Beiratsmitglied Katharina Kracht im März. Beklagt wurde auch die Zusammenarbeit mit dem Beauftragtenrat, dessen Sprecher inzwischen Bischof Christoph Meyns ist. Detlev Zander, der an der Aufklärung des Missbrauchsskandals der evangelischen Brüdergemeinde Korntal in Baden-Württemberg mitgewirkt hat, sprach von einer „opferverachtenden und menschenfeindlichen“ Aufarbeitung.

Betroffenenbeirat will sich nicht auflösen lassen

Schließlich erfolgte am Montagabend unmittelbar nach der EKD-Synode mit der Mitteilung, die Arbeit des Beirats „auszusetzen“, der Paukenschlag. Die EKD, in dessen Rat auch Politiker wie die Parlamentarischen Staatssekretäre Kerstin Griese (SPD) und Thomas Rachel (CDU) sitzen, teilte mit, die Beteiligung von Betroffenen an der Aufarbeitung solle umstrukturiert werden. Vier der noch verbliebenen sieben Mitglieder bezeichneten diesen Schritt als einseitig. „Wir lassen uns nicht auflösen“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung. Entgegen eigener Verlautbarungen habe die EKD grundlegende Voraussetzungen für eine gelingende Betroffenenbeteiligung bis heute nicht geschaffen, kritisieren sie. Rörig schaltete sich ebenfalls ein und appellierte an alle Beteiligten, „sich noch einmal an einen Tisch zu setzen“ – möglichst unter der Beteiligung unabhängiger Dritter. Beide Seiten – die Vertreter der EKD auf der einen und die Betroffenen auf der anderen Seite – hätten möglicherweise die Herausforderungen für eine solche Zusammenarbeit unterschätzt. Möglicherweise seien auch die Ziele und Grenzen einer Partizipation von Betroffenen unzureichend geklärt gewesen.

Ob dies gelingen kann, ist fraglich. Zumindest erklärte Nicolai Blank als einer der Betroffenen, die bereits aus dem Beirat ausgetreten sind, dass er sich unter anderen Voraussetzungen eine Mitarbeit vorstellen könne. Indes wird vermutlich auch die Frage wieder lauter werden, inwieweit die Kirchen die Aufarbeitung alleine leisten können oder ob auch die Politik stärker beteiligt werden müsse und das Parlament etwa eine Wahrheitskommission einrichten solle, wie es einige Betroffene fordern.

Von Birgit Wilke (KNA)