Führende Geistliche im Erzbistum Köln kritisieren die Aufarbeitung von Missbrauch in ihrer Erzdiözese.
Wuppertal/Düsseldorf – Führende Geistliche im Erzbistum Köln kritisieren die Aufarbeitung von Missbrauch in ihrer Erzdiözese. Mehrere Kreis- und Stadtdechanten wandten sich deshalb in einer E-Mail an Kardinal Rainer Maria Woelki, wie der Sprecher der Gruppe, der Wuppertaler Stadtdechant Bruno Kurth, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Mittwoch bestätigte. Zu den Unterzeichnern sollen fast alle der 15 Stadt- und Kreisdechanten im Erzbistum Köln gehören, also die obersten katholischen Repräsentanten in den größeren Städten oder Kreisen.
Große Sorge der Kreis- und Stadtdechanten
„Grund des Schreibens ist ist eine große Sorge der wichtigen Stadt- und Kreisdechanten um das Erzbistum“, erklärte Kurths Pressestelle. Am Freitag solle es ein Gespräch zwischen den Dechanten und dem Erzbischof geben. Die „Bild“-Zeitung hatte zuerst über die Mail berichtet. Ein Stadt- oder Kreisdechant ist der oberste katholische Repräsentant in einer größeren Stadt oder in einem Kreis. Seit mehr als einem Jahr wird im Erzbistum Köln um die öffentliche Aufarbeitung früherer Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche gerungen. Dabei geht es auch darum, Verantwortliche zu benennen, die Täter geschützt und Verbrechen vertuscht haben. Ein erstes Aufarbeitungsgutachten hatte Woelki nicht veröffentlichen lassen, weil er es für fehlerhaft und nicht rechtssicher hält. In einem zweiten Gutachten, das im März veröffentlicht wurde, weisen Juristen um den Strafrechtler Björn Gercke hohen Amtsträgern im Erzbistum Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen nach. Woelki selbst wird durch den Gercke-Report entlastet.
Ende Dezember hatte mit dem Dormagener Pfarrer Klaus Koltermann erstmals und bislang einmalig ein Vertreter aus dem Kölner Klerus Woelkis Rücktritt gefordert. Zuvor sorgte ein offener Brief des Grevenbroicher Pfarrers Meik Schirpenbach für Aufsehen. Das Vertrauen sei „auch bei den treuesten Kirchgängern zutiefst erschüttert“, kritisierte Schirpenbach damals. Seitdem ist viel passiert. Mitte März veröffentlichten Juristen um den Strafrechtler Björn Gercke ein Gutachten zum Umgang der Kölner Bistumsspitze mit Fällen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche. Eine erste Untersuchung hatte Woelki nicht veröffentlichen lassen und dies mit methodischen Mängeln begründet. Der Gercke-Report zählte zwischen 1975 und 2018 mindestens 75 Pflichtverletzungen durch hohe Amtsträger, darunter Generalvikare und Erzbischöfe. Demnach sind sie unter anderem Verdachtsfällen nicht nachgegangen und haben sich nicht um die Opfer gekümmert. Woelki selbst wird durch Gercke entlastet. Dennoch sind die Kritiker nicht verstummt. Ein ums andere Mal berichten Medien über Aktenvorgänge aus dem Gercke-Gutachten und machen der Bistumsleitung zwar keine juristischen, wohl jedoch moralische Vorwürfe.
Vor allem der Fall des Pfarrers D. sorgte zuletzt für Aufregung. 2017 ernannte ihn Woelki trotz des Vorwurfs sexueller Übergriffe zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten und beurlaubte ihn erst kürzlich. Laut Gercke-Gutachten hatte D. vor 20 Jahren sexuellen Kontakt zu einem 17 Jahre alten Prostituierten. Ein einmaliger Vorgang, den der Geistliche bereut habe, argumentierte Woelkis Generalvikar Markus Hofmann. Das Verhalten sei damals weder nach kirchlichem noch nach weltlichem Recht eine Straftat gewesen. In den Folgejahren gab es gegen D. immer wieder Vorwürfe. Anonyme Gerüchte, die der Priester abgestritten habe, so Hofmann. Die Erklärung des Generalvikars stieß ranghohen Geistlichen, Gemeindepfarrern und katholischen Laien sauer auf. Menschen, die sich sexuell an Kindern und Jugendlichen vergangen haben, dürften nicht mehr als Priester eingesetzt werden, forderte etwa der Bonner Stadtdechant Wolfgang Picken in seinem Podcast: „Dass das nicht sofort eingesehen und entsprechend reagiert wird, erklärt die gegenwärtige Empörung und die Vertiefung der Krise.“
Der Kölner Stadtdechant Robert Kleine bezeichnete es auf Twitter und Facebook als gravierenden Fehler, „das Fehlverhalten von Geistlichen danach zu bewerten, ob es strafrechtlich oder kirchenrechtlich justiziabel war oder ist“. Nun haben die Dechanten ihrem Unmut offenbar gemeinsam Luft gemacht. Am Freitag wollen sie sich mit Woelki zu einem Gespräch treffen, wie Kurth erklärt. Der Kardinal begrüßte die Zusammenkunft auf KNA-Anfrage. „Wir tragen alle zusammen Verantwortung für unser Bistum und wir haben einen geistlichen Auftrag“, so Woelki. Das Treffen soll laut Erzbistum in einem „vertrauensvollen und vertraulichen Rahmen“ stattfinden.
Für Schlagzeilen sorgte zuletzt eine Kontroverse um eine geplante Firmung in Düsseldorf. Mitglieder der Gemeinde Sankt Margareta versuchen zu verhindern, dass Woelki selbst die Firmung spendet, da sie ihn für unglaubwürdig halten. In der Gemeinde waren zwei beschuldigte Priester aus dem Gercke-Report tätig: Kaplan D., den Woelki 2017 trotz des Vorwurfs sexueller Übergriffe zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten ernannte und kürzlich beurlaubte, sowie der inzwischen verstorbene Pfarrer O., dem schwerer Missbrauch an einem Kind vorgeworfen wird. Der Kardinal nahm den Fall O. nach seinem Amtsantritt 2015 zwar zur Kenntnis, unterließ aber eine kirchenrechtliche Voruntersuchung und eine Meldung nach Rom. Dieses Vorgehen begründet er mit der damals weit fortgeschrittenen Demenz des ehemaligen Pfarrers, die eine Befragung unmöglich gemacht habe.
Protestaktion angekündigt
„Eine Bitte von Gläubigen an ihren Bischof, von einer Sakramenten-Spendung abzusehen, ist ein Schritt, den ich so noch nie erlebt habe“, sagte der Düsseldorfer Stadtdechant Frank Heidkamp der „Rheinischen Post“ (Mittwoch). Er stellte klar, dass nicht die Gemeinde als Ganzes den Erzbischof ausgeladen habe. Zudem wolle er Woelki keine Ratschläge erteilen, ob es momentan sinnvoll sei, selbst zu der Firmung zu kommen. Am Donnerstag treffen sich Vertreter der Gemeinde und der Kardinal zu einem Gespräch. Die Reforminitiative Maria 2.0 hat eine Protestaktion angekündigt.