Das oberste Gericht der USA verhandelt darüber, ob Todeskandidaten ein Recht darauf haben, bei ihrer Hinrichtung von einem Geistlichen begleitet zu werden. Einige Richter zeigten bei einer Anhörung Bedenken.
Von Thomas Spang (KNA)
Washington – Das oberste Gericht der USA streitet darüber, ob Todeskandidaten ein Recht darauf haben, bei ihrer Hinrichtung von einem Geistlichen begleitet zu werden. Verfassungsrichter Samuel Alito zeigte sich besorgt: Bei einer Anhörung im Fall “Ramirez v. Collier” sagte er am Dienstag, wenn Delinquenten der Wunsch nach geistlichem Beistand in der Todeskammer gewährt werde, könnte das sich als Fass ohne Boden erweisen. “Das klingt danach, als ob wir künftig mit einem nicht endenden Strom an unterschiedlichen Wünschen rechnen müssten”, sagte Alito mit Blick auf Argumente des Verteidigers von John H. Ramirez.
Dessen Hinrichtung hatte der Supreme Court am 8. September drei Stunden vor der Vollstreckung gestoppt. Den heute 37-Jährigen hatte ein texanisches Gericht 2004 zum Tode verurteilt, weil er den Verkäufer eines Lebensmittelladens erstochen hatte. Im Gefängnis freundete sich Ramirez mit der baptistischen Pastorin Dana Moore an, die mit ihm bei seiner Hinrichtung laut beten und ihm die Hand auflegen wollte. Texas verweigerte ihm den letzten Wunsch. Der texanische Generalstaatsanwalt Ken Paxton bezeichnete die Klage von Ramirez auf Religionsfreiheit als Verzögerungstaktik.
Das Argumente scheint mindestens bei dem Katholiken Alito zu verfangen. Auch Chefrichter John Roberts dachte in die gleiche Richtung, als er den hypothetischen Fall durchspielte, dass ein Gefangener in letzter Minute zu einer anderen Religion konvertieren wolle. Richter Brett Kavanaugh, ebenfalls Katholik, meinte, jemand könnte auf die Idee kommen, “Brot und Wein” zu verlangen.
Der Verteidiger des Todeskandidaten, Seth Kretzer, argumentierte, nicht die Wünsche des Delinquenten seien das Problem, sondern das Verhalten des Bundesstaates, der seine Protokolle für Hinrichtungen ständig ändere. Texas habe in der Vergangenheit bei 572 Exekutionen über vier Jahrzehnte erlaubt, dass Geistliche laut beteten und den Gefangenen berührten. Er könne nicht erkennen, wo eine Gefahr von der Pastorin ausgehe. Seinem Mandanten reiche es, wenn sie in den letzten Momenten seines Lebens den Fuß festhalte.
Richter Kavanaugh erklärte, der Verweis auf die langjährige Praxis in Texas verfange nicht, weil es sich bei den früheren Geistlichen um Gefängnis-Kapläne gehandelt habe. Die liberale Richterin Elena Kagan erkundigte sich bei dem texanischen Justiziar Judd E. Stone, ob ihm irgendein Fall bekannt sei, bei dem ein Seelsorger für Probleme bei einer Hinrichtung gesorgt habe. Stone verneinte die Frage.
Der Supreme Court hat sich in den vergangenen Jahren gleich viermal mit der Thematik befasst – und ist dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. 2019 verweigerte der Bundesstaat Alabama dem Muslim Dominique Ray seinen Wunsch, während seiner Hinrichtung einen Imam an seiner Seite zu haben. In diesem Fall argumentierte das Gericht, Ray habe erst zehn Tage vor der Vollstreckung um Rechtshilfe gebeten. Er starb ohne geistlichen Beistand, obwohl zu diesem Zeitpunkt christliche Begleiter bei Hinrichtungen zugegen sein durften.
Kurze Zeit später stoppte das US-Verfassungsgericht die tödliche Injektion per Giftspritze an Patrick Murphy in Texas. Der Bundesstaat erlaubte es bis dahin muslimischen und christlichen Todeskandidaten, Begleiter ihrer eigenen Religion in der letzten Lebensstunde bei sich zu haben, nicht aber Vertreter anderer Glaubensgruppen. Als Reaktion auf das Urteil des Supreme Court untersagte Texas allen geistlichen Begleitern den Zutritt zur Hinrichtungsstätte.
Dagegen klagte der Häftling Ruben Gutierrez, ein Katholik. Dessen Hinrichtung in Texas setzte das Oberste Gericht ebenfalls aus. In diesem Fall ging es darum, ob die Anwesenheit eines Geistlichen die Sicherheit im Todestrakt gefährde. Ein Bezirksgericht verneinte das. Seitdem lässt Texas wieder religiöse Begleiter bei Hinrichtungen zu.
Die von Barack Obama nominierte Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor gab bei der Anhörung zu erkennen, dass sie mit den Bedenken ihrer männlichen Kollegen nicht viel anfangen kann. Sie machte auch kein Geheimnis daraus, wo sie steht: “Todeskandidaten sollten auf dem Weg ins Jenseits einen Pastor an ihrer Seite haben dürfen.”
Von Thomas Spang (KNA)