Soziologe Bodemann: Festjahr ist deutsch-jüdisches Gedächtnistheater

Der Soziologe Michal Bodemann hat das laufende Festjahr “1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland” als “großes gemeinsames deutsch-jüdisches Gedächtnistheater” bezeichnet.
Oberursel – Der Soziologe Michal Bodemann hat das laufende Festjahr "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" als "großes gemeinsames deutsch-jüdisches Gedächtnistheater" bezeichnet. In einem Beitrag für die Zeitschrift "Publik Forum" (3. Dezember) warnt er auch vor der Hoffnung, das Gedenken könne zur Bewältigung der Vergangenheit beitragen. Das deutsche Judentum sei "mit der Schoah unwiederbringlich zu Ende gegangen". Eine gemeinsame Perspektive auf die Geschichte der Juden in Deutschland könne "auch das Festjahr nicht herstellen".

Schabbattisch in einem Klassenzimmer. –Foto: Lea Fleischmann

Der Soziologe Michal Bodemann hat das laufende Festjahr “1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland” als “großes gemeinsames deutsch-jüdisches Gedächtnistheater” bezeichnet. In einem Beitrag für die Zeitschrift “Publik Forum” (3. Dezember) warnt er auch vor der Hoffnung, das Gedenken könne zur Bewältigung der Vergangenheit beitragen. Das deutsche Judentum sei “mit der Schoah unwiederbringlich zu Ende gegangen”. Eine gemeinsame Perspektive auf die Geschichte der Juden in Deutschland könne “auch das Festjahr nicht herstellen”.

Es sei frappierend, “mit welchem Elan, mit welchem Engagement mit dem 1.700-Jahr-Fest vergangenes und gegenwärtiges jüdisches Leben in Deutschland gefeiert wird”. Dabei werde jedoch beim Blick in die Vergangenheit das Leben einzelner Jüdinnen und Juden so vorgestellt, “als sei das Judentum durch lauter Moses Mendelssohns, Rahel Varnhagens und vielleicht noch Albert Einsteins konstituiert”, beklagt Bodemann. Eine Verengung des Jüdischen auf eine bestimmte soziale Schicht und kulturelle Orientierung innerhalb nationalstaatlicher Grenzen weise auf den politischen Charakter des heutigen “Gedächtnistheaters” hin.

Auch seien Juden aus Straßburg oder Wien beim Festjahr nicht dabei, zudem fehle der Blick auf die jüdischen Gemeinden in der DDR. Es handele sich um einen verengten “nationalen deutschen Diskurs, einen Versöhnungsdiskurs”. Vor 1933 hätten sich viele Juden eine Integration gewünscht. Heute hofften nichtjüdische Deutsche, dass aus der jüdischen Geschichte in Deutschland nun deutsche Geschichte werde, so der Soziologe.

Das Festjahr nimmt Bezug auf ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin, das auf den 11. Dezember 321 datiert ist. Darin wird eine jüdische Gemeinde in Köln erwähnt. Das Dokument gilt als ältester schriftlicher Nachweis für jüdisches Leben nördlich der Alpen. Das Jubiläumsjahr eröffnete im Februar Schirmherr und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Köln. Bundesweit finden Aktionen statt. Wegen der Corona-Pandemie wurde das Festjahr verlängert.

Bodemann schreibt, dass jüdisches Leben tatsächlich erst 700 Jahre später begonnen habe, Anfang des 11. Jahrhunderts, mit Spuren einer Synagoge und einer Mikwe, also eines jüdischen Ritualbades – “um gleich Ende des Jahrhunderts in einem grauenhaften Massaker anlässlich des ersten Kreuzzuges ein erstes Ende zu finden”.

kna

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