Der Münchner Kirchenrechtler Helmuth Pree hat Vorwürfe gegen Benedikt XVI. wegen möglicher Versäumnisse im Umgang mit einem 42 Jahre alten Missbrauchsfall in Zweifel gezogen.
Hamburg/München. Der Münchner Kirchenrechtler Helmuth Pree hat Vorwürfe gegen Benedikt XVI. wegen möglicher Versäumnisse im Umgang mit einem 42 Jahre alten Missbrauchsfall in Zweifel gezogen. Auch für einen emeritierten Papst müsse die Unschuldsvermutung „als zentrales Element einer jeden Rechtskultur“ gelten, schreibt der Kanonist in einem Beitrag für die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Pree (71) lehrte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und wurde von Benedikt XVI. 2011 in den Päpstlichen Rat für Gesetzestexte berufen. Er wirkte außerdem am Gercke-Gutachten für das Erzbistum Köln mit.
Pree verwundert über Berichterstattung
Pree äußerte sich verwundert über die Berichterstattung der Zeit über den Fall vor einer Woche. Er kritisierte die dort von seinen Kollegen Norbert Lüdecke (Bonn) und Bernhard Anuth (Tübingen) in einem Interview abgegebenen Bewertungen im Zusammenhang mit einer offenbar ihnen vorliegenden, aber bisher unveröffentlichten Entscheidung eines Münchner Kirchengerichts von 2016. Die beiden Kirchenrechtler halten Joseph Ratzinger vor, er habe 1980 als Münchner Erzbischof bei der Aufnahme eines übergriffig gewordenen Priesters aus dem Bistum Essen eine Meldepflicht gegenüber der Römischen Glaubenskongregation verletzt.
Pree schreibt nun, es sei „bis heute nicht geklärt“, ob es eine solche Pflicht bezogen auf Missbrauchsvorwürfe gegen Priester damals tatsächlich gab. Die dafür einzig infrage kommende Verwaltungsvorschrift von 1962 sei ein „Geheimerlass“ gewesen. Sie sei „niemals ordnungsgemäß kundgemacht, sondern lediglich fallweise an einzelne Bischöfe übersandt“ worden. „Es gibt keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Instruktion in München in den 1960er-Jahren oder zu irgendeinem späteren Zeitpunkt bekannt gewesen oder gar in der Rechtspraxis angewandt worden wäre.“ Darum sei es „begründungsbedürftig, warum ausgerechnet Kardinal Ratzinger sie im Jahre 1980 gekannt haben könnte“.
Kirchenrichter behaupte „genaues Gegenteil“
Noch einen weiteren Punkt kritisiert Pree: Das mehr als 40 Seiten umfassende kirchenrechtliche Dekret von 2016 werde „im Wesentlichen auf die Behauptung reduziert, Kardinal Ratzinger habe von der Vorgeschichte des betroffenen Priesters gewusst, ihn aber gleichwohl ohne jede Vorsichtsmaßnahme in der allgemeinen Pfarrseelsorge eingesetzt“. Diese Behauptung sei schon 2010 aufgestellt worden, schreibt der Experte. Damals habe der oberste Münchner Kirchenrichter es für „unwahrscheinlich“ gehalten, dass Ratzinger von der Sachlage gewusst habe. Sechs Jahre später behaupte er in dem von ihm mit unterzeichneten Urteil „auf einmal das genaue Gegenteil“.
Sollte der Münchner Offizial seine Einschätzung in diesem zentralen Punkt revidiert haben, sei das „einerseits bemerkenswert, vor allem aber begründungspflichtig“. Der Berichterstattung sei nicht zu entnehmen, ob es in dem Dekret dazu nähere Ausführungen gebe. Umso kühner sei die These eines von der Wochenzeitung zitierten Kirchenrechtlers: „Alle mussten um die Anfangsdelikte wissen.“
Veröffentlichung einer Anwaltskanzlei in kommender Woche
Pree verwies auf die für kommende Woche angekündigte Veröffentlichung der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising. Derzeit bleibe wohl nichts anderes als diese abzuwarten, „um möglicherweise zu einer umfassenderen und objektiveren Bewertung zu gelangen“.