Die Sozialwissenschaftlerin Helga Dill kritisiert das Erzbistum München-Freising für die fehlende Kooperationsbereitschaft in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt.

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Die Sozialwissenschaftlerin Helga Dill vom Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) kritisiert das Erzbistum München-Freising für die fehlende Kooperationsbereitschaft in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt: „Das Erzbistum München-Freising hat eine Zusammenarbeit abgelehnt“. Konkret geht es um die Aufarbeitung des Falls von Pfarrer Peter H. – eines wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Priesters. Im Jahr 1980 wurde H. unter dem damaligen Erzbischof Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., von Essen nach München versetzt.
Fall des Priesters Peter H. ein Schwerpunkt
Dill und das IPP untersuchen im Fall des Bistums Essen sexualisierte Gewalt von 1958 bis heute. Dabei ist der Fall des Priesters Peter H. ein Schwerpunkt. Die Studie für das Ruhrbistum soll im Herbst diesen Jahres erscheinen. Zudem steht der Fall im Zentrum eines Gutachtens der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) im Auftrag des Erzbistums München-Freising, das am Donnerstag vorgestellt wird. „Das Erzbistum München hat uns im Herbst vergangenen Jahres die Akteneinsicht verweigert“, sagt Dill Christ & Welt. „Dies ist umso bedauerlicher, da das Bistum Essen den Münchnern eine Zusammenfassung der Essener Personalakten zur Verfügung gestellt hat.“
Angeblich sollten Parallelstrukturen zur Aufarbeitung durch die Kanzlei WSW vermieden werden, habe es zur Begründung geheißen. Dill fordert hohe Kleriker zur Zusammenarbeit bei ihrer Studie auf. „Mit allen, die seit 1980 mit dem Fall in München zu tun hatten“ wolle sie sprechen. „Was Marx anbelangt, hoffen wir sehr auf ein Gespräch.“ Auch den ehemaligen Münchner Erzbischof und Kardinal Friedrich Wetter sowie Felix Genn, früher Bischof von Essen und heute Bischof von Münster, wolle sie gern befragen. Ein Zeitzeugeninterview mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. sei ebenso wünschenswert, auch wenn sie die Realisierungschancen für begrenzt halte.
Forscherin: Mitwissen Benedikts in Fall H. nicht aktenkundig
Die Münchner Soziologin hält die Frage weiterhin für offen, was Benedikt XVI. in einem prominenten katholischen Missbrauchsfall wusste. Gegenüber der Christ und Welt nahm die Geschäftsführerin des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) Stellung zur Debatte um die Verwicklung des ehemaligen Kirchenoberhaupts in den sogenannten Fall H. Das IPP erhielt vor knapp zwei Jahren den Auftrag des Bistums Essen für eine unabhängige Aufarbeitungsstudie, die im kommenden Herbst veröffentlicht werden soll.
H. ist Essener Diözesanpriester und hat an mehreren Orten in seinem Heimatbistum sowie im Erzbistum München und Freising Minderjährige missbraucht. Die Taten erstrecken sich über vier Jahrzehnte. Dill sagte in dem am Mittwoch veröffentlichten Interview, es gebe „in den Akten keine Hinweise“ darauf, dass Joseph Ratzinger über die Hintergründe von H.s Versetzung Anfang 1980 nach München Bescheid wusste. Ratzinger war damals Erzbischof von München und Freising. Nach seiner Wahl 2005 zum Papst nahm er den Namen Benedikt XVI. an.
„Viele interne Absprachen fanden nie ihren Weg in die Akten“
In den Akten sei nur zu lesen, dass die Verantwortlichen in München aus Essen darauf hingewiesen worden seien, „dass von H. eine Gefahr ausgeht“, mehr nicht, so Dill. „Das heißt aber nicht, dass er die Hintergründe 1980 nicht kannte“, fügte die Forscherin hinzu. „Viele interne Absprachen fanden nie ihren Weg in die Akten.“ Deswegen würde sie mit dem emeritierten Papst gern über den Fall sprechen.
Der Fall H. spielt auch eine gewichtige Rolle im Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising, das am Donnerstag veröffentlicht werden soll. Er füllt dem Vernehmen nach einen „Sonderband“ mit mehr als 350 Seiten.