Die frühere deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl Annette Schavan sieht im Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland eine womöglich „konstruktive Provokation“ für den Vatikan und für die Weltkirche.
Berlin – Die frühere deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl Annette Schavan sieht im Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland eine womöglich „konstruktive Provokation“ für den Vatikan und für die Weltkirche. „Von Frankfurt führen viele Wege nach Rom“, schreibt Schavan in einem Gastbeitrag für das Magazin „Cicero“ (Sonntag) mit Blick auf die jüngste Versammlung in Frankfurt und deren Erklärung gegen Machtmissbrauch und Diskriminierung. Rom und die Weltkirche sollten für diesen Impuls aus Deutschland offen sein.
Schavan: „Wechselseitige Skepsis muss nicht hinderlich sein“
Dazu sei es allerdings „wichtig, dass mehr Deutsch in Rom und mehr Italienisch in Deutschland gesprochen wird“, so Schavan. Die CDU-Politikerin betont: „Wechselseitige Skepsis muss nicht hinderlich sein.“ Im besten Fall werde Skepsis ergänzt „durch die Überzeugung in Rom, dass Deutschland und Europa für die Weltkirche durchaus inspirierende und eben auch provozierende Regionen sind“; und zugleich die Überzeugung in Deutschland, „dass die Weltkirche interessante Anregungen für die Entwicklung der katholischen Kirche in Deutschland geben kann“.
Auf dem Synodalen Weg sei in den vergangenen Monaten „eine Bewegung entstanden, die bislang schwer vorstellbar war“, beobachtet die 66-Jährige. Das habe sicher auch damit zu tun, dass sich die Lage der Kirche in Deutschland so zugespitzt habe „wie kaum je zuvor“. Ihr Autoritätsverlust sei groß. Schavan warnt vor einer wachsenden Gefahr, dass eine breite Öffentlichkeit nicht mehr wahrnehme, wozu Christen und die Kirchen „in einer Gesellschaft wichtig sind, die mitten in Prozessen einer umfassenden Transformation steckt“. Eine neuerliche Welle der Säkularisation wäre „eine große Aufgabe für die Weltkirche, zumal sie ja auch viel religiöse Heimatlosigkeit produziert“, konstatiert die Politikerin.
Dem oft geäußerten Einwand, Papst Franziskus denke an eine andere Erneuerung als die Katholiken in Deutschland, tritt Schavan entgegen. Es sei „noch nicht entschieden, was die grundlegenden Veränderungen der Weltkirche in diesem Pontifikat sein werden“. Vermeintlich abschließende Einschätzungen anderer hätten „mehr mit eigenen Interessen als mit dem Papst zu tun“, so die CDU-Politikerin; und weiter: „Die einen wollen viel, die anderen wollen gar keine Veränderung.“ Der Ton zwischen ihnen werde schärfer.
Internationale Anfragen gutes Zeichen
Dass andere Länder schon jetzt die Übersetzung der Dokumente des deutschen Synodalen Weges in andere Sprachen erbäten, wertet sie als „ein gutes Zeichen“. So münde die Initiative in den weltweiten synodalen Prozess; „eine große Chance, in der Weltkirche mehr voneinander zu erfahren und auch zu lernen“, findet Schavan.
Sie beklagt einen Klerikalismus, der „tief und fest verankert“ sei und „auch viele Priester und Ordensleute in ihrem Wirken behindert, die ihrer Kirche schon weit voraus“ seien. Dieser Klerikalismus verstoße manchmal auch gegen eigene Lehren, so die frühere Ministerin; „wenn etwa – entgegen der katholischen Soziallehre – der Vorrang der großen Einheit vor der kleinen Einheit Platz greift“. Das Gegenteil habe die Kirche der Politik immer geraten.
Abschließend zitiert Schavan Papst Franziskus, der empfehle, „sich vom Gesicht und von der Geschichte des anderen herausfordern zu lassen“. So täten sich „neue Wege auf, die wir nicht für möglich gehalten hätten“. Ihr Fazit: „Weder die, die Reformen wünschen, noch jene, die sie verhindern wollen, sollten schon jetzt glauben zu wissen, wo die Weltkirche am Ende des Jahres 2023 stehen wird.“
EKD-Beobachter: Keine „Protestantisierung“ durch Synodalen Weg
Der Reformprozess Synodaler Weg in Deutschland trägt aus Beobachtersicht eher nicht zu einer „Protestantisierung“ der katholischen Kirche bei. „Das halte ich für die geringste Gefahr“, sagte Johannes Wischmeyer, der die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beim Synodalen Weg vertritt und bei der jüngsten Versammlung dabei war, dem Portal katholisch.de (Sonntag). „Ich sehe in den Antragstexten und auch im Stil der Diskussion sehr viel ‚Katholisches‘ im besten Sinn. Ich habe den Eindruck, dass sich alle Seiten bemühen, die Tradition aufzurufen und auch für Veränderungsinitiativen ein möglichst enges Band an die Überlieferung zu knüpfen.“
Wischmeyer sagte, er habe zudem den Eindruck, dass auch von der „eher progressiven Seite“ eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Weiheamt an den Tag gelegt werde. „Und ich denke, dass insgesamt die Autorität der Bischöfe auch in einem veränderten Rahmen weiterhin eine sehr große Rolle spielen wird, die für uns Evangelische so nie bestanden hat und sicher nicht Grundlage eines gemeinsamen Kirchenbilds sein könnte.“ Derzeit gebe es unterschiedliche Ansätze in der katholischen Weltkirche, die versuchten, den „Gedanken der Repräsentation der Gläubigen“ zu stärken. „Aber alle diese Ansätze unterscheiden sich von einer politisch verstandenen Demokratie doch recht deutlich, wofür es sicher gute ekklesiologische Gründe gibt.“
Aus Sicht Wischmeyers hat ein „Krisenmodus“ beide großen Kirchen in Deutschland erfasst. Eine gemeinsame Wurzel für viele Probleme sei der Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit. Die Wege aus der Krise seien unterschiedlich. „Ich habe den Eindruck, dass der Synodale Weg hier an Strukturen arbeitet, die vielleicht erst die Voraussetzungen darstellen, um dann tatsächlich wieder zeigen zu können, in wie vielen Weisen die Kirche positiv in die Gesellschaft hineinwirkt.“
Wischmeyer warnte aber davor zu denken, dass sich mit positiven Abschlüssen das Bild der Gesellschaft auf die Kirche rasch wieder zum Positiven verändern könnte. „Reformen sind tatsächlich erst die Voraussetzung, um sich auf eine neue Weise darauf zu besinnen, wie – mit viel Demut und deutlich bescheidener als zuvor – die kirchliche Rolle in der Öffentlichkeit in Zukunft aussehen kann.“