Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat eine stärkere Verantwortungsübernahme des Staates bei der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gefordert.
Berlin/Frankfurt – Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat eine stärkere Verantwortungsübernahme des Staates bei der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gefordert. „Der Staat“ stehe bei der Verfolgung noch nicht strafrechtlich verjährter Sexualstraftaten im kirchlichen Kontext „uneingeschränkt in der Pflicht“, heißt es in einem Positionspapier, das der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ/Mittwoch) vorliegt. Das gelte für die katholische Kirche, aber auch für alle anderen Gesellschaftsbereiche wie Sport, Schule und Familie.
Verpflichtung des Staates zu stärkerer Verantwortungsübernahme
Die Verpflichtung des Staates zu einer stärkeren Verantwortungsübernahme bei der Aufarbeitung ergebe sich maßgeblich daraus, dass das staatliche Wächteramt zum Schutz betroffener Kinder und Jugendlicher oft nicht ausgeübt worden sei. Deshalb hätten gesetzlich vorgesehene Abwendung von Kindeswohlgefährdungen, die Bereitstellung und Gewährung von Hilfen oft nicht stattgefunden. Missbrauchsopfer hätten ein Recht auf staatlich unterstützte Aufarbeitung. Konkret plädiert Rörig für eine gesetzliche Grundlage auch für die unabhängige Aufarbeitungskommission. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP bereits darüber verständigt, dass das Amt das Missbrauchsbeauftragten gesetzlich verankert werden soll.
„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für die politische Weichenstellung“
Die Kommission könnte auf diese Weise institutionelle Aufarbeitungsprozesse anstoßen und sie beratend begleiten, hätte aber auch konkrete gesetzliche Befugnisse zur Akteneinsicht und für Zeugeneinladungen. Derzeit kann sie lediglich Betroffene anhören und Rückschlüsse aus ihren Schilderungen ziehen sowie Studien in Auftrag geben. Weiter spricht sich Rörig für ein fraktions- und ressortübergreifendes politisches Begleitgremium auf Bundesebene aus. Diesem Gremium solle die gestärkte Aufarbeitungskommission berichten und konkrete Empfehlungen aussprechen.
In seinem Positionspapier heißt es den Angaben zufolge, die katholische Kirche habe sich seit 2010 verbindlich und seit 2020 im Rahmen einer kirchenrechtlichen Ordnung normativ verpflichtet, grundsätzlich jede Missbrauchstat zur Anzeige zu bringen. Aufgabe der Länder sei es sicherzustellen, dass Ermittlungsbehörden jedem Verdacht und jeder Anzeige in „der gebotenen Weise“ nachgehen könnten. Bereits 2013 habe er darauf gedrungen, für Fälle von verjährtem Missbrauch eine gesetzlich verankerte Aufarbeitungskommission einzurichten. Die damalige Regierung habe ihn dabei jedoch nicht unterstützt. Rörig hob in diesem Zusammenhang die vor zwei Jahren mit der Bischofskonferenz beschlossene Gemeinsame Erklärung hervor, die die Bistümer zu einer unabhängigen Aufarbeitung verpflichte. An diesem Modell sollte auch für Fälle in anderen Institutionen festgehalten werden.
Der Missbrauchsbeauftragte warb dafür, zügig zu handeln: „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für die politische Weichenstellung und Ausgestaltung künftig gestärkter unabhängiger Aufarbeitung von Kindesmissbrauch.“ Bundestag und Bundesregierung sollten noch in der ersten Jahreshälfte einen Referentenentwurf erarbeiten. Spätestens im kommenden Jahr solle auch die Aufarbeitungskommission gesetzlich verankert sein. Derzeit ist sie bis Ende 2023 befristet. Rörig selbst hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, dass er sein Amt in dieser Legislatur niederlegen wolle. Zuletzt war von Ende Februar die Rede. Einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ihn steht noch nicht fest.