In den vergangenen Wochen stand der emeritierte Papst viel im Rampenlicht. Dieses warf auch Schatten auf seine Person und sein Werk. In wenigen Wochen vollendet Josef Ratzinger sein 95. Lebensjahr. Dass seine Zeit auf Erden sich dem Ende zuneigt, weiß er und sprach es offen aus.
Vatikanstadt – Wie sehr die Auseinandersetzungen um das Münchner Missbrauchsgutachten Benedikt XVI. mitgenommen haben, ist unklar. Einerseits heißt es, der ehemalige Papst sei gelassen und ruhig, mit sich im Reinen. (Den Stress bekam eher sein Umfeld mit.) Andererseits wird es einem Menschen, der so grundsätzlich denkt und – wie es heißt – nach persönlicher Wahrhaftigkeit strebt, nicht egal gewesen sein, dass seine Einlassungen auf Kritik und Unverständnis trafen.
Zunächst warf das Ende Januar veröffentlichte Münchner Missbrauchsgutachten dem früheren Erzbischof Ratzinger (1977-1982) Fehler in seiner Amtszeit vor. Hinzu kam der inhaltliche Fehler in Benedikts Einlassung zum Gutachten mit Blick auf seine Teilnahme an einer entscheidenden Sitzung im Ordinariatsrat 1980. Es folgten Benedikts Korrektur sowie seine ausführliche persönliche Stellungnahme. Zwar sprangen dem ehemaligen Erzbischof und Papst zahlreiche Unterstützer bei; sie sahen vor allem sein Lebenswerk in Frage gestellt. Aber die Kritiker waren lauter, sehr laut. Und bleiben es. In wenigen Wochen, am 16. April, wird Benedikt XVI. 95 Jahre alt. Die Frage ist: Wie geht es ihm?
„Wie es einem Mann seines Alters geht“, pflegt sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein zu sagen. In den vergangenen Monaten fügte er hinzu: „Er ist stabil in der Schwäche.“ Körperlich sei der Papst emeritus sehr schwach. So erhält er morgens und abends Hilfe von einer Pflegekraft. Die morgendliche Messe feiert er im Rollstuhl sitzend mit Gänswein und anderen Bewohnern seiner Residenz „Mater ecclesiae“. Geistig sei Benedikt XVI. aber nach wie vor klar. Und auch seinen „typisch bayerischen Humor“ habe er nicht verloren, so Gänswein im vergangenen Herbst.
Benedikt XVI. leitete die katholische Kirche von 2005 bis 2013. Der erste deutsche Papst seit 482 Jahren. Vor seiner Wahl war er gut 23 Jahre lang Leiter der Römischen Glaubenskongregation. Kirchengeschichte schrieb er mit seinem freiwilligen Amtsverzicht im Februar 2013. Seither lebt er zurückgezogen in seiner Residenz in den vatikanischen Gärten. Begleitet und betreut wird er von Gänswein und von Schwestern der Laienvereinigung Memores Domini, die am päpstlichen Ruhesitz den Haushalt erledigen.
Seit geraumer Zeit bereite sich der bald 95-Jährige auf den letzten Atemzug vor, so Gänswein. Schließlich gehöre die Kunst des guten Sterbens zum christlichen Leben dazu. Benedikt XVI. erläuterte in seiner persönlichen Stellungnahme zum veröffentlichten Missbrauchsgutachten, bald werde er vor den ewigen Richter treten. Zudem zeigte er sich in seinem Brief zuversichtlich, dass der „ewige Richter“ ihm vergebe, „wenn ich mich ehrlich von ihm durchschauen lasse und so wirklich zur Änderung meines Selbst bereit bin“.
Das klang wie ein Abschied vom Irdischen. Und doch heißt es unter Vatikanjournalisten, der emeritierte Papst sei zäh und lasse sich nicht gehen. Als sein Bruder Georg Ratzinger im Sommer 2020 starb, rechnete Benedikt XVI. laut Gänswein in den Wochen danach mit seinem eigenen baldigen Ableben. „Gott denkt aber eben oft anders“, so der Privatsekretär, der dem Papst emeritus näher ist als jeder andere. Kurz vor dem Tod des Bruders war der ehemalige Papst noch in einer sehr spontanen Aktion zu ihm nach Regensburg gereist.
Knapp zwei Jahre später empfängt Benedikt XVI. weiter Besuch. Auf der Facebookseite der von ihm gegründeten „Vatikanischen Stiftung Joseph Ratzinger Benedikt XVI.“ werden in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Fotos von seinen Gästen gepostet. Anfang März etwa wurde ihm der erste Band der neuen Ausgabe seiner „Gesammelten Schriften“ überreicht. Auf dem Foto zu sehen sind neben dem Leiter der Ratzinger-Stiftung, Pater Federico Lombardi, unter anderen der Leiter der vatikanischen Kommunikationsbehörde, Paolo Ruffini, sowie Mediendirektor Andrea Tornielli.
Doch der emeritierte Papst sieht schmaler und blasser aus, als noch auf einer Aufnahme vom November. Damals traf er die Empfänger des Ratzinger-Preises aus den Jahren 2020 und 2021. Die Anwesenden hätten sich eine gute Stunde lang sehr lebhaft über die Arbeit ausgetauscht und gemeinsam gebetet, teilte die Stiftung im Anschluss mit. Ob die Unterhaltung zu Monatsanfang ebenfalls lebhaft war, wissen wohl nur die Dabeigewesenen. Wobei schon länger bekannt ist: Benedikt XVI. kann nur noch flüstern, das Schreiben mit der Hand ist ihm kaum noch möglich. Auch sei nach einer halben bis einer Stunde die Konzentration fürs Lesen und Sprechen erschöpft – weswegen der Papst emeritus sich viel öfter ausruhen muss.