Psychoanalytiker Huth: Benedikt XVI. kann nicht auf andere zugehen

Der Psychiater und Psychoanalytiker Werner Huth glaubt nicht, dass der ehemalige Papst Benedikt XVI. im Zusammenhang mit dem Münchener Missbrauchsgutachten bewusst gelogen hat. „Ich glaube, wir haben es mit etwas viel Tragischerem zu tun.“
Der Psychiater und Psychoanalytiker Werner Huth glaubt nicht, dass der ehemalige Papst Benedikt XVI im Zusammenhang mit dem Münchener Missbrauchsgutachten gelogen hat. „Ich glaube, wir haben es mit etwas viel Tragischerem zu tun.“

Foto 25919998 © Deaconbrown | Dreamstime.comDreamstime.com

Der Psychiater und Psychoanalytiker Werner Huth glaubt nicht, dass der ehemalige Papst Benedikt XVI. im Zusammenhang mit dem Münchener Missbrauchsgutachten bewusst gelogen hat. „Ich glaube, wir haben es mit etwas viel Tragischerem zu tun. Joseph Ratzinger war und ist zwar ein bedeutender Theologe. Aber alles, was mit Verwaltung zu tun hatte, war offensichtlich nicht so seine Welt“, sagte Huth in einem Interview der Münchener Abendzeitung.

Huth: „Menschen wie er tun sich oft schwer, unmittelbar auf andere zuzugehen“

Jemand, der so ausgerichtet sei, vergesse „einen Routinevorgang wie die Versetzung eines Priesters in eine andere Diözese“ eher. „Diese Identifizierung wurde auch offenkundig, als er sich vor den Missbrauchsopfern entschuldigen sollte“, urteilt Huth.Joseph Ratzinger sei „ein außerordentlich kluger Mann“, so Huth. „Aber Menschen wie er tun sich oft schwer, unmittelbar auf andere zuzugehen. Sie sehen sich nur noch als Repräsentanten ihrer Institution.“ Es sei ihnen daher „fast unmöglich, sich wie ein normaler Bürger zu verhalten“. Dazu gehöre auch die Fähigkeit „zum Beispiel zu sagen: ‚Ich habe damals etwas falsch gemacht, aber ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern, vermutlich weil vieles für mich neu war.‘“

Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Psychoanalytiker Werner Huth, Jahrgang 1929, lehrte von 1973 bis 1991 an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München und sollte 1980 den Essener Priester Peter H. therapieren, diesen Fall im Münchener Missbrauchsgutachten eine herausgehobene Rolle einnimmt.

Für Einzeltherapie ungeeignet

Das Bistum Essen habe gewusst, „dass ich viel Erfahrung in der Behandlung von Sexualstörungen hatte“. Deshalb habe die Diözese Peter H. an ihn überwiesen. Der Priester „war aber für eine Einzeltherapie ungeeignet, denn er war davon überzeugt, dass er zu Unrecht in eine Therapie geschickt wurde und hatte weder ein Unrechts- noch ein Krankheitsbewusstsein.“ Huth habe ihn aber „unter drei Bedingungen“ für eine Gruppentherapie angenommen, die auch dem  Erzbistum München bekannt gewesen sei. 

Demnach forderte Huth, der Priester dürfe „nie wieder mit Jugendlichen arbeiten. Stattdessen sollte man ihn entweder in der Verwaltung, in einer Bibliothek oder in einem Altenheim beschäftigen“. Da H. seinerzeit „glaubhaft behauptete, dass er seine Taten vor allem unter Alkoholeinfluss begangen hat, habe ich ihm zeitweilig ein Medikament verschrieben, das seinerzeit zur Unterstützung der Abstinenz bei Alkoholabhängigkeit viel verwendet wurde“. Doch habe H. sich „auch daran nach kurzer Zeit nicht mehr gehalten“. Drittens, so Huth, habe er darauf bestanden, dass der Priester von der Kirche einen Betreuer zugeteilt bekomme. 

Psychoanalytiker spricht von Wagenburg-Mentalität

Als der Fall öffentlich 2010 öffentlich wurde, habe sich aber herausgestellt, dass seine eigenen Äußerungen ebenso wie ein umfangreiches Gutachten eines Kollegen in der Personalakte des Priesters „nicht mehr auffindbar“ gewesen seien. „Ich habe dem damaligen neuen Generalvikar deshalb eine Kopie zugänglich gemacht“, sagte Huth der Abendzeitung. Er spricht von einer „großen Nachlässigkeit“, die damals verbreitet gewesen sei. In beiden großen Kirchen habe man dazu geneigt, „unangenehme Vorgänge zu verschleifen und zu bagatellisieren, um weiter business as usual machen zu können. Dazu kam eine Art Wagenburg-Mentalität: Alles war darauf ausgerichtet, dass nichts nach außen dringt und der Schein gewahrt bleibt“.

rwm