Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland betrachtet Antisemitismus laut einer Umfrage als weit verbreitetes Phänomen.
Berlin – Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland betrachtet Antisemitismus laut einer Umfrage als weit verbreitetes Phänomen. Sie ist zudem überzeugt, dass das Problem in den vergangenen zehn Jahren zugenommen habe. Das Gedenken an den Holocaust bezeichnet knapp jeder Zweite als „unbedingt notwendig“. Judenfeindliche Einstellungen sind sowohl unter AfD-Wählern als auch unter Muslimen stärker verbreitet. Diese Ergebnisse einer Repräsentativbefragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des American Jewish Committee (AJC) in Berlin wurden am Dienstag bei einer im Internet übertragenen Veranstaltung vorgestellt.
Insgesamt sind 60 Prozent der Ansicht, dass Judenfeindschaft in Deutschland „eher“ beziehungsweise „auf jeden Fall“ weit verbreitet sei. Das sehen 53 Prozent der Muslime ebenfalls so. Knapp zwei Drittel zeigten sich überzeugt, dass das Problem in den vergangenen zehn Jahren zugenommen habe. Bei Muslimen denkt dies etwa jeder zweite. Sowohl die Gruppe der Muslime (55 Prozent) als auch die Gesamtbevölkerung (52) seien sich einig, dass angemessen über Antisemitismus gesprochen werde. Nach Meinung von jeweils 17 Prozent wird zu viel darüber gesprochen.
Vorurteile werden laut Umfrage von einem „beachtlichen Teil“ der Gesellschaft unterstützt. Wer ein negatives Bild von Israel hat, stimmt demnach Ressentiments eher zu. 34 Prozent denken etwa, dass Juden ihren Status als Opfer des Völkermordes im Zweiten Weltkrieg zu ihrem Vorteil ausnutzten. Unter den AfD-Wählern sagen das 48 Prozent, unter Muslimen 54 Prozent. 27 Prozent sind der Ansicht, dass Juden reicher als der Durchschnitt der Deutschen seien (AfD-Wähler 46 Prozent, Muslime 47). Zugleich gaben 60 Prozent die Gesamtbevölkerung an, dass Juden ungerechtfertigt angefeindet würden, wenn es Krisen gibt (AfD-Wähler 47 Prozent, Muslime 39).
Die Umfrage unterstreiche insgesamt, dass Antisemitismus nicht allein ein Problem der politischen Ränder sei, erklärte der Direktor des AJC Berlin, Remko Leemhuis. Judenfeindschaft sei „tief verankert“ in der Mitte der Gesellschaft. Es müsse davor gewarnt werden, Antisemitismus zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen zu machen. Demokratische Parteien sollten vielmehr zusammenstehen und ihn gemeinsam und entschlossen bekämpfen.
Ausschlaggebend für die gesonderte Erfassung von Einstellungen unter Muslimen waren gegen Juden und Synagogen gerichtete Ausschreitungen im Zuge des Nahost-Konflikts im Mai 2021 auch in Deutschland, wie Leemhuis erklärte. Wenn das Vorgehen gegen Judenfeindschaft erfolgreich sein solle, dürfe nicht ausgeblendet werden, dass Ressentiments in dieser Gruppe stärker ausgeprägt seien; es bedeute aber nicht, dass Antisemitismus allein ein Problem vom Muslimen in Deutschland sei.
Für die Online-Erhebung wurden von Ende Dezember bis Mitte Januar insgesamt 1.025 deutschsprachige Personen ab 18 Jahre sowie 561 deutschsprachige Muslime befragt. Laut AJC-Angaben betrug der Anteil von Juden in der Stichprobe 0,5 Prozent.