Save the Children: Bis zu 27 Millionen Hungernde im Sudan

Durch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine befürchten Hilfsorganisationen, dass europäische Staaten anderen Krisenherden auf der Welt wie etwa dem Sudan nicht mehr genug Aufmerksamkeit geben.
Sudan

–Foto: Sergey Mayorov /dreamstime.com

Durch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine befürchten Hilfsorganisationen, dass europäische Staaten anderen Krisenherden auf der Welt wie etwa dem Sudan nicht mehr genug Aufmerksamkeit geben. Mit rund 600 Mitarbeitern ist die Kinderrechtsorganisation Save the Children nach eigenen Angaben die größte Hilfsorganisation in dem Land im Nordosten Afrikas. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit dem Länderdirektor der Organisation im Sudan, Arshad Malik, über die aktuelle Lage.

Herr Malik, Sie und ihre Mitstreiter warnen, dass angesichts des Ukraine-Krieges die prekäre Lage im Sudan vergessen werden könnte. Mit welchen Problemen ist das Land aktuell konfrontiert?

Malik: Das Hauptproblem ist die drohende Hungerkrise. Die Ursachen dafür sind zunächst die Auswirkungen des Klimawandels, Überschwemmungen, Missernten und vor allem die Tatsache, dass der Preis für Nahrungsmittel binnen zwei Jahren um fast 700 Prozent gestiegen ist. Das UN-Welternährungsprogramm hat kürzlich seine Einschätzung der Lage veröffentlicht. Demnach werden rund 18 Millionen Menschen im Sudan von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sein. Dabei sind die Auswirkungen des Krieges zwischen der Ukraine und Russland noch nicht berücksichtigt.

Außerdem ist die Inflation im Land hoch.

Malik: Die Inflationsrate liegt bei 263 Prozent. Der Dollar ist im Vergleich zum sudanesischen Pfund regelrecht in die Höhe geschossen. Und tatsächlich ist der Sudan schon seit Jahrzehnten eine vernachlässigte Krise. Das Land hat damals nicht die Unterstützung erhalten, die es zur Verbesserung der Menschen- und Kinderrechtssituation benötigte.

Die internationale Gemeinschaft hatte sich schon vor Jahren verpflichtet, dem Sudan zu helfen; aber die Unterstützung kam nicht so schnell, wie wir es erwartet hatten, und wegen der verzögerten Maßnahmen verschlechterte sich die Lage dort weiter. Nun ist die internationale Gemeinschaft mit mehreren Krisen konfrontiert: Syrien, Somalia, Jemen, Afghanistan und jetzt das Horn von Afrika und die Ukraine. Unsere Sorge ist, dass die europäischen Regierungen aufgrund der Ukraine-Krise und der Konzentration auf die Lösung der Probleme in unmittelbarer Nähe Länder wie den Sudan vergessen könnten.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verschärft die Lage. Welche konkreten Auswirkungen werden im Sudan befürchtet?

Malik: Wie gesagt sind bereits rund 18 Millionen Menschen im Sudan, das heißt 40 Prozent der Gesamtbevölkerung, von der Krise der Ernährungssicherheit betroffen. Nun mit dem Krieg in der Ukraine befürchten wir, dass sich der Anteil der Menschen, die von der Ernährungsunsicherheit betroffen sind, um weitere circa 9 Millionen Menschen erhöht auf 27 Millionen Betroffene beziehungsweise 60 Prozent der Bevölkerung, wenn sich die Situation nicht ändert. Wenn also der Weizen nicht sofort zur Verfügung gestellt wird und keine internationale Unterstützung erfolgt. Aber das ist eine vage Prognose. Wir hoffen, dass es alternative Lösungen geben wird.

Mehr als 80 Prozent der sudanesischen Weizenimporte stammten bislang aus Russland und der Ukraine. Angesichts der derzeitigen Restriktionen für Russland und der Lage in der Ukraine wird der Sudan nicht in der Lage sein, Weizen von dort zu beziehen. Daher müssen wir nach alternativen Weizeneinfuhren suchen, die im Vergleich recht teuer sein werden. Das bedeutet, dass Grundnahrungsmittel für die sudanesische Bevölkerung sehr teuer und möglicherweise auch nicht mehr erhältlich sein werden.

Seit dem Putsch im April 2019 wird das Land von einer autoritären Militärregierung geführt. Das macht es für westliche Staaten schwierig, mit dem Sudan zusammenzuarbeiten. Welche Unterstützung wünschen sie sich etwa von Deutschland?

Malik: Wir würden es begrüßen, wenn die für den Sudan bereitgestellten Mittel mit alternativen Umsetzungsmechanismen für unser Land und nicht für andere Krisen wie die Ukraine oder die Hungerkrise am Horn von Afrika verwendet werden. Wir verstehen zwar, warum die westlichen Regierungen nicht in der Lage sind, die derzeitige Regierung des Sudan zu unterstützen. Aber ich denke, es ist wichtig, dass wir nach alternativen Mechanismen für die Bereitstellung der internationalen Hilfe im Sudan suchen.

Zum Beispiel…?

Malik: … durch Programme für soziale Absicherung, die ein gesellschaftliches Sicherheitsnetz im Land schaffen und die Widerstandsfähigkeit stärken. Zudem ist Engagement der Jugend wichtig, die Entwicklung des Privatsektors und die Schaffung von Arbeitsplätzen für die Jugend. Auch wir von Save the Children haben zusammen mit unseren Konsortiumsmitgliedern, 5 internationalen Partnern und 20 nationalen Partnern eine Allianz gegründet, um eine alternative Lösung zu finden. Was wir am dringendsten brauchen, ist die Kontinuität von humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe, um sicherzustellen, dass die sudanesische Bevölkerung überleben kann und Hilfe erhält.

Von Christine Xuan Müller (KNA)