Die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger plädiert mit Blick auf die Pandemie auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um Schulschließungen zu vermeiden.
Berlin – Die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger plädiert mit Blick auf die Pandemie auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um Schulschließungen zu vermeiden. Unterricht könne auch in Museen oder Kirchen stattfinden, weil dort mehr Platz sei, erklärte Allmendinger am Freitag in Berlin. Sie äußerte sich bei der Vorstellung des Evaluationsberichts des von der Bundesregierung einberufenen Sachverständigenausschusses. Allmendingergehört zu dessen Mitgliedern.
Schulschließungen als „das letzte aller Mittel“
Weiter betonte Allmendinger, die Politik solle Schulschließungen nicht von vorne herein ausschließen, diese sollten aber „das letzte aller Mittel sein“. In dem rund 160-Seite umfassenden Bericht heißt es, dass Studien für Deutschland und weitere Länder belegten, dass die Pandemie erhebliche psychosoziale Auswirkungen insbesondere auf Frauen und jüngere Menschen hatte. Zukünftig sollten „deshalb ausreichende, flexibel anpassbare und präventiv ansetzende Maßnahmen sowie persönliche und digitale therapeutische Angebote in psychischen Krisen und für psychisch erkrankte Menschen als integrale Bestandteile des Krisenmanagements unter Pandemiebedingungen sichergestellt werden“.
Wenn es im Herbst tatsächlich wieder zu Schulschließungen kommen sollte, müsse auf jeden Fall die „individuelle Erreichbarkeit gewährleistet sein“, so Allmendinger weiter. Es müsse sichergestellt sein, dass alle Schüler und Schülerinnen über digitale Endgeräte verfügten. Zudem sollten digitale Coaches eingeführt werden, die Eltern und Schülern bei Problemen ansprechen könnten. Ein besonderes Augenmerk müsse auf sozial benachteiligte Familien gelegt werden.
Werbung für ein Mindestmaß an sozialen Kontakten
Allmendinger warb zudem „für eine Art Rechtsanspruch“ für ein Mindestmaß an sozialen Kontakten. Der Virologe Hendrik Streeck sprach sich für die Einsetzung einer neuen Kommission aus, die mithelfen solle, Schulen „pandemiesicher“ zu machen.
Mit Blick auf die Risikokommunikation forderten die Experten für eine stärker „aufsuchende“ Strategie aus. Es gehe nicht darum, Menschen, die schon gut informiert seien, zu erreichen, sondern, die beispielsweise nicht Informationen des Robert Koch Instituts nutzten, so die Virologin Helga Rübsamen-Schaeff. Sie verwies als Vorbild auf die Aids-Kampagne in den 80er-Jahren. Wie damals könne die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dazu eine geeignete Institution sein, entsprechende Konzepte zu entwickeln. Grundsätzlich kritisierten die Experten des Ausschusses eine schlechte Datenlage. Der Bericht wird am Freitagnachmittag an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach überreicht.
Die jetzt geltenden Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes laufen am 23. September aus. Vor allem die Grünen hatten in den vergangenen Wochen gedrängt, bereits vor der Sommerpause des Bundestages neue Regeln auf den Weg zu bringen. Die FDP wollte dagegen auf jeden Fall den Sachverständigenbericht abwarten.