Die Reaktion auf Russlands völkerrechtswidriges Verhalten muss nach Ansicht von Dr. Stefanie Babst eine entschlossene Eindämmungsstrategie sein.
Münster – „Die Welt soll denen gehören, die mutig für humane Werte und Regeln einstehen und bereit sind, diese immer und überall zu verteidigen“, bringt es Dr. Stefanie Babst, Politikberaterin und ehemalige Beigeordnete Generalsekretärin der NATO für Öffentlichkeitsdiplomatie am Mittwochabend (17. August) im St.-Paulus-Dom in Münster zum Abschluss ihres Vortrags mit dem Titel „Die Freiheit des Westens. Wie widerstandfähig wollen wir sein?“ im Rahmen der DomGedanken auf den Punkt. Sie gibt damit ihre Antwort auf die Frage, die den Rahmen der diesjährigen Vortragsreihe bildet: „Wem gehört die Welt?“
Warum Putin mehr als nur die Ukraine im Blick hat
In beeindruckender Klarheit skizziert Babst, die insgesamt 22 Jahre für das transatlantische Bündnis Nato tätig war, was der nunmehr seit sechs Monaten tobende völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands in der Ukraine auch für uns bedeutet: „Russland bricht nahezu alle Regeln, die unser Zusammenleben nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und dem Ende des Eisernen Vorhangs mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/1990 geprägt haben. Putin und seine mafiaähnliche kleptokratische Clique ehemaliger Geheimdienstler halten Gewalt für das probate Mittel, die eigenen Interessen durchzusetzen.“ Es gehe ihm, dem zur Vernichtung der Ukraine als souveränem Staat Entschlossenen, um nicht weniger als die Destabilisierung und Spaltung des demokratischen Westens und um die Expansion Russlands. „Deswegen“, so Babst, „sind wir direkt betroffen. Wir dürfen nicht nur Beobachter sein. Es geht um unsere Grundsätze.“ Deutschland sei als eines der führenden Länder in der EU und auch der Nato primäres Ziel Putins expansionistischer Gelüste. „Er setzt darauf, dass wir einen Konflikt mit Russland wirtschaftlich und politisch nicht durchhalten. Und darauf, dass wenn wir einknicken, andere Staaten folgen.“ Das entschlossene Zusammenstehen von EU und Nato als Reaktion auf den Überfall auf die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres dürfe den Kreml überrascht haben.
Die Frontlinie des Krieges, den Russland lange politisch, militärisch und gesellschaftlich vorbereitet habe, liege im Osten und Süden des zweitgrößten Staates Europas, der Ukraine, mit ihren 42 Millionen Einwohnern. Die strategische Demarkationslinie indes verlaufe zwischen dem autoritären Regime Putins und dem liberal-demokratischen Ordnungsmodell des Westens, besonders vertreten durch die EU und die Nato. Beide Bündnisse stehen für Werte, dafür Konflikte gewaltlos zu lösen, Selbstbestimmtheit und dafür, füreinander einzustehen – auch und gerade im Fall eines Angriffs von außen. „Deswegen müssen wir uns fragen, in welcher Welt wir künftig leben wollen, wenn es darum geht, unseren Standpunkt in diesem Krieg zu beziehen“, schlussfolgert die Expertin.
Babst stellt heraus: „Ziel des Krieges ist es, die Ukraine als souveränen Staat zu vernichten, zu liquidieren. Das ist unmissverständlich – auch, weil es in offiziellen Regierungspapieren zur ‚Denazifizierung der Ukraine‘ martialisch beschrieben wird.“ Putin halte auch mit seiner Einstellung zum Westen nicht hinterm Berg: „Er hält uns für dekadente Gesellschaften ohne moralischen Kompass und für Vasallen der USA.“
Die EU muss sich klar positionieren.
Die Reaktion auf Russlands völkerrechtswidriges Verhalten müsse nach Ansicht von Dr. Stefanie Babst eine entschlossene Eindämmungsstrategie sein, die mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt. „Wir müssen Russland militärisch, wirtschaftlich, finanziell, und in der technischen Fähigkeit zur Kriegsführung systematisch begrenzen und schwächen. Die sieben Sanktionspakete der EU zeigen langsam Wirkung, wir brauchen Geduld“, erklärt sie und macht klar: „Wir dürfen uns nicht länger erpressbar machen. Unser demokratisches Wohl und Wehe hängt nicht von einer Gasturbine ab.“ Zudem müsse die Ukraine weiterhin und verstärkt zur Selbstverteidigung befähigt werden. Auch militärisch. Vulnerable Nachbarstaaten der Ukraine wie die Republik Moldau und Georgien müssten gestärkt werden. „Auch geht es darum, die eigene militärische Wehrhaftigkeit und Resilienz zu stärken. Wir müssen investieren in die Bundeswehr, in die Cyberabwehr, in den Katastrophenschutz“, so Babst. Und auch die eigenen Beziehungen zu Russlands Freunden in der Welt sollten überdacht und gegebenenfalls geändert werden. „Wir müssen uns in der Außen-, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik klar positionieren.“
Besonders und grundsätzlich wichtig sei es, sich innerlich darauf einzustellen, dass das eine längere Auseinandersetzung mit Russland werden wird. Trotzdem keine Angst vor Putin und seinem Gebaren zu haben, obwohl die Nachrichten in den Medien ein beängstigendes Bild zeichnen und die eigene Durchhaltefähigkeit zu mobilisieren. „Wenn wir den Putinismus nicht brechen, bricht er uns. Wir brauchen ein sehendes Auge, Mut und Entschlossenheit.“