In ihrem Fall kam beides glücklich zusammen: Die verstorbene Queen war das weltliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche, und sie nahm diese Aufgabe sehr ernst, weil ihr Glaube sie durch ihr Leben trug.
Bonn/London – Fans der Netflix-Serie “The Crown” wissen es: Die Queen kniete abends mit gefalteten Händen vor ihrem Bett und betete – etwas, das ihr ihre Mutter beigebracht hatte. Elizabeth II. war eine fromme, bibelfeste Kirchgängerin, die sich von ihrem Glauben im Leben getragen fühlte. “Der Anker in meinem Leben”, wie sie in ihrer Weihnachtsansprache 2016 sagte. Und in der Ansprache im Jahr 2000: “Für viele von uns ist unser Glauben von größter Wichtigkeit. Die Lehre Christi und das Wissen um meine persönliche Rechenschaftspflicht vor Gott stellen für mich den Rahmen dar, in dem ich versuche, mein Leben zu führen. Wie so viele von Ihnen habe ich auch großen Trost in Jesu Christi Worten und Vorbild gefunden.”
Es war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass sie in diesem Rahmen davon sprach, wie viel ihr der Glaube bedeutet. Für ihre unerwartet offenen Bemerkungen erhielt sie damals 25 mal mehr Rückmeldungen als sonst – vor allem positive. Großbritannien wurde immer säkularer, die Weihnachtsansprachen der Queen seit 2000 immer stärker von Religion geprägt. Elizabeth wuchs in einer Familie auf, in der der Glaube selbstverständlich gelebt wurde. Ihr Vater George VI. versetzte seine öffentlichen Ansprachen mit religiösen Bezügen. Ihre Mutter las den Töchtern in ihrer Kindheit aus der Bibel vor. Selbst ihre Schwester Margaret, spätestens seit “The Crown” als trinkfeste Kettenraucherin bekannt, war bibelfest und gläubig.
Elizabeth II. war im tiefsten Herzen traditionelle Anglikanerin. Als solche bevorzugte sie die King-James-Bible, die Bibel in ihrer von King James I. autorisierten Form für die anglikanische Kirche, nicht die moderne Version. Das galt auch für das Book of Common Prayer, eine Sammlung von Gebeten für die anglikanische Kirche. Offiziell akzeptierte sie selbstverständlich die in zeitgemäßer Sprache aktualisierten Versionen.
Im Übrigen galt sie als bemerkenswert bibelfest. Die Queen bevorzugte klassische Kirchenlieder und kurze Predigten; auf letzteres legte auch ihr Ehemann Prinz Philip (1921-2021) großen Wert. Zwölf Minuten galten als Maximum. Die Königin war nicht nur persönlich fromm; sie war auch das weltliche Oberhaupt der Church of England. Seit 1970 eröffnete sie (als erste Monarchin) mit einer Ansprache die Generalsynode der anglikanischen Kirche, wenn dises alle fünf Jahre neugewählt zusammentrat. Die von der Synode verabschiedete kirchliche Gesetzgebung benötigte – und erhielt – in letzter Instanz ihre Zustimmung.
Die Queen ernannte auf Vorschlag des Premierministers die 108 Erzbischöfe und Bischöfe, die ihr dann die Treue schworen und nach der Weihe huldigten. In Schottland war sie Mitglied der presbyterianischen Church of Scotland, hatte dort aber keine offizielle Funktion. Sie trug auch den Titel “Defensor fidei” (Verteidiger des Glaubens); eine Auszeichnung, die 1521 Papst Leo X. an Heinrich VIII. verlieh, der zu dem Zeitpunkt noch heftig gegen Martin Luther polemisierte, später aber mit Rom brach und die anglikanische Kirche gründete. In der Vergangenheit bezogen die englischen Monarchen die Verteidigung des Glaubens ausschließlich auf die Church of England. Doch in der Regierungszeit Elizabeths, besonders nach dem Jahr 2000, hat sich der Blickwinkel deutlich geweitet.
Verschiedene Biografen vermuten, dass dies mit dem Tod ihrer Mutter Elizabeth (1900-2002) zusammenhing. Danach habe sie freier agiert, weil sie nicht länger das Gefühl hatte, auf ihre Mutter und deren sehr konservative Prinzipien Rücksicht nehmen zu müssen. So besuchte die Königin beispielsweise 2002 in Zusammenhang mit ihrem Goldenen Thronjubiläum auch erstmals eine Moschee und Hindu- sowie Sikh-Tempel in England. Dafür zog sie auch die Schuhe aus und ging auf Strümpfen. Zu ihrem Platin-Jubiläum 2022 gratulierten ihr Vertreter der verschiedenen Religionen im Königreich und dankten ihr für ihren Dienst an der Gemeinschaft.
Elizabeth II. hatte sowohl im Königreich wie im Commonwealth die Breite an verschiedenen Religionen anerkannt und sich für religiöse Toleranz stark gemacht. 2012 hielt sie eine bemerkenswerte Ansprache, die als wegweisend für religiöse Toleranz und Vielfalt galt. Dabei kam nach ihrer Vorstellung der Church of England eine wichtige Rolle zu: “Ihre Aufgabe ist nicht, den Anglikanismus zu verteidigen, um andere Religionen auszuschließen. Stattdessen hat die Kirche die Aufgabe, die freie Religionsausübung aller Glaubensgemeinschaften in diesem Land zu schützen.”
Ihr Sohn und Nachfolger Charles wird diese Linie fortführen. Er bekannte schon vor Jahren, er verstehe sich nicht als Verteidiger des einen Glaubens, sondern der verschiedenen Religionen. Wie er dies nun als König umsetzt, wird die Zukunft zeigen.