Monumental, modern und menschenleer präsentiert sich Kasachstans Hauptstadt. Franziskus nutzt seine Ankunft, um das Land als „Ort der Begegnung“ zu würdigen – während der große Nachbar Russland Krieg führt.
Nur-Sultan – Norman Foster, Kisho Kurokawa oder die Brüder Nicoletti: Nur-Sultan kennt sie alle. In der künstlich hochgezogenen Stadt in der kasachischen Steppe haben sich weltberühmte Architekten die Klinke in die Hand gegeben. Zuletzt wurde im August die größte Moschee Zentralasiens eingeweiht, 70 Prozent der Kasachen sind Muslime.
Hoher Besuch aus aller Welt kommt bei solch gigantischen Kulissen gelegen. Wenn dieser zugleich Oberhaupt der katholischen Kirche ist, werden bei seiner Ankunft am Dienstag alle Register der Repräsentation gezogen – laut und manchmal auch bombastisch.
Franziskus ist für den Weltkongress der Religionen nach Nur-Sultan gereist. Der findet am Mittwoch und Donnerstag mit rund 100 Delegationen aus etwa 50 Ländern statt. Seit 2003 lädt die Regierung alle drei Jahre zum „Kongress der Welt- und traditionellen Religionen“. Es begann einst als Reaktion auf den Terroranschlag vom 11. September 2001. Neben Franziskus wird einer der ranghöchsten sunnitischen Geistlichen erwartet, Großscheich Ahmed al-Tayyib von der Al-Azhar-Moschee in Kairo.
In der Bevölkerung spielt Religion eine untergeordnete Rolle. Der Islam gilt als gemäßigt. Von den Christen, 26 Prozent, sind die meisten russisch-orthodox. Diese gehören zum „kanonischen Territorium“ des Moskauer Patriarchats. Katholiken sind eine Minderheit, kaum ein Prozent.
In diesem Jahr ist erstmals Präsident Kassym-Schomart Tokajew Gastgeber. Ihn trifft Franziskus am Anreisetag im Präsidentenpalast. Das Kirchenoberhaupt wird im Rollstuhl in den Empfangssaal gebracht. Gebrechlich sieht der Pontifex aus. Bereits im Flugzeug waren seine Beschwerden unübersehbar.
Umso makelloser erscheint die Umgebung. Architekten und Designer aus 26 Ländern haben den Palast erbaut. Er trägt den bescheidenen Namen „Weißes Haus“. Im Inneren funkeln riesige Kronenleuchter von der Decke. Der Boden gleicht einem Spiegel. Hausherr Tokajew steht seit 2019 an der Spitze der zentralasiatischen Republik. Sein Vorgänger Nursultan Nasarbajew – derzeit noch Namensgeber der Hauptstadt – regierte das Land jahrzehntelang autoritär.
Tokajew wurde zu Jahresbeginn durch die Niederschlagung von Protesten bekannt. Die ehemalige Sowjetrepublik wurde durch Proteste und Ausschreitungen gegen die Regierung erschüttert. Es gab Dutzende Tote und Tausende Festnahmen. Auf Bitten Tokajews, der seine Diplomatenausbildung in Moskau genoss, kamen Tausende russische Soldaten in den Nachbarstaat und beendeten den Aufstand. Der Papst rief damals zum friedlichen Miteinander auf.
In seiner Rede vor Regierungsvertretern und Diplomaten in der futuristischen „Qazaq Concert Hall“ findet Franziskus am Dienstag lobende Worte. Er begrüßt die Abschaffung der Todesstrafe, den Verzicht auf Atomwaffen und den angestoßenen Demokratisierungsprozess. Aber er geht auch auf die Proteste ein. Und mahnt, dass das Vertrauen in die Regierenden steige, wenn Versprechungen nicht bloß „Mittel zum Zweck“ seien, sondern auch umgesetzt würden.
Der Papst spricht von einer „außergewöhnlichen Symphonie“ in Kasachstan. Ein Zusammenspiel von rund 150 ethnischen Gruppen und mehr als 80 Sprachen. Dadurch werde es zu einem „einzigartigen multiethnischen, multikulturellen und multireligiösen Labor“ mit der Berufung, ein „Land der Begegnung“ zu sein. Seine eigene Begegnung mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. in Kasachstan muss indes ausfallen. Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche hat sein Kommen zum Weltkongress abgesagt.
Erst gegen Ende seiner Rede geht der Papst auf den Krieg in der Nachbarschaft ein. „Ich komme hierher im Verlauf des wahnsinnigen und tragischen Krieges, der durch die Invasion der Ukraine ausgelöst worden ist.“ Kasachstan nimmt im Ukraine-Krieg eine möglichst neutrale Haltung ein.
Die Papstworte zu diesem Krieg sind in den vergangenen Wochen klarer geworden. Zu Beginn vermied er Schuldzuweisungen, die ukrainische Regierung protestierte. Doch auch in Kasachstan will er es nicht bei der Schuldfrage belassen. Es brauche Geduld, Verständnis und den Willen, „mit allen, ich wiederhole mit allen“ in den Dialog zu treten, so Franziskus. Ab Mittwoch will er mit mehreren Religionsvertreter Dialoge führen, auch mit einer Delegation aus Moskau.