Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine plädierte Militärbischof Franz-Josef Overbeck für eine Mischung „aus Realpolitik und stiller Diplomatie, die hinter den Kulissen Gesprächskanäle offenhält.“ Unter dem Titel „Die Weltordnung wankt! Was tun?“, wurde in der katholischen Akademie wurde darüber kontrovers diskutiert.

Auf dem Podium (von links): Prof. Dr. Tobias Debiel, Dr. Franz-Josef Overbeck, Prof. Dr. Andrea Gawrich, Moderator Mark Radtke und (zugeschaltet) der FDP-Bundestagsabgeordnete Pascal Kober. Foto: Thomas Emons
Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine plädierte Militärbischof Franz-Josef Overbeck für eine Mischung „aus Realpolitik und stiller Diplomatie, die hinter den Kulissen Gesprächskanäle offenhält.“ Zugleich betrachtet er mit großer Sorge „dass die politische Polarisierung in den USA einen Grat erreicht hat, in dem man seinen politischen Gegner sprachlich vernichten will.“ Diese Tendenz stelle eine „existenzielle Gefahr für unsere liberale Demokratie da, wenn man versucht, Politik zur Religion zu machen.“
Dies sagte er am Dienstagabend bei der Veranstaltung „Die Weltordnung wankt! Was tun?“ der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr. Das Auditorium der Wolfsburg war vollbesetzt und online schalteten sich weitere Zuhörer und Mitdiskutanten in die Veranstaltung ein, zu der die katholische Akademie und die Universität Duisburg-Essen gemeinsam eingeladen hatten.
Neben Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck diskutierten auf dem Podium die Politikwissenschaftler Tobias Debiel von der Universität Duisburg-Essen und Andrea Gawrich von der Universität Gießen und der aus Berlin zugeschaltete FDP-Bundestagsabgeordnete und Nils Gründer, mit. Letzterer vertrat die angekündigte, aber kurzfristig verhinderte FDP-Bundestagsabgeordnete Agnes Strack-Zimmermann, die als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses zu den vehementesten Fürsprecherinnen für deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine ist.
Politiker und Politikwissenschaftler waren sich einig, dass es keine Alternative zu Waffenlieferungen an die Ukraine gebe, wenn man dafür sorgen wolle, dass die Ukraine den Krieg militärisch gewinnt und damit die Ziele des russischen Angriffskrieges verhindern könne.
„Der Krieg in der Ukraine ist auch unser Krieg. Denn wenn Putin mit seinen Kriegsverbrechen und seinem völkermörderischem Terrorregime in der Ukraine Erfolg haben sollte, werden wir in einer anderen Welt leben“, warnte Gawrich. Ihr Kollege Debiel warnte aber auch vor den unabsehbaren Folgen eines eskalierenden Krieges in der Ukraine. Er machte deutlich: „Wir dürfen den System-Konflikt des Kalten Krieges nicht wiederholen!“
Aus seinen Gesprächen als Militärbischof berichtete Franz-Josef Overbeck, „dass die Soldaten der Bundeswehr, die heute auch an den östlichen Grenzen der Nato, etwa in Litauen und in der Slowakei, stationiert sind, genauso, wie die deutsche Zivilbevölkerung Angst davor haben, dass dieser Krieg, der nicht nur ein militärischer Konflikt, sondern auch ein Konflikt der Ideen ist, eskaliert.“ Overbeck plädierte für eine Mischung „aus Realpolitik und stiller Diplomatie, die hinter den Kulissen Gesprächskanäle offenhält.“ Genau diese Strategie attestierte auch Tobias Debiel dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Er agiere mit seinen Diplomaten hinter den Kulissen, sowohl gegenüber China mit Blick auf den Taiwan-Konflikt als auch gegenüber Russland mit Blick auf den Krieg in der Ukraine mit einer klaren Kommunikation, die an der Entschlossenheit der USA keinen Zweifel lasse.
Angesichts der Kongresswahlen sieht er keine Auswirkungen auf die US-Außenpolitik. Zur Entscheidung über den weiteren außenpolitischen Kurs werde es erst bei den Präsidentschaftswahlen 2024 kommen. „Trump hat in seiner ersten Präsidentschaft gezeigt, dass er keine Freunde, sondern nur Deals kennt. Biden hat die transatlantische Partnerschaft wiederhergestellt. Aber eine zweite Präsidentschaft Trumps würde Europa wieder dazu zwingen, einen eigenen Weg zu gehen.“
Mit großer Sorge betrachtet der Ruhrbischof, „dass die politische Polarisierung in den USA einen Grat erreicht hat, in dem man seinen politischen Gegner sprachlich vernichten will.“ Diese Tendenz stelle eine „existenzielle Gefahr für unsere liberale Demokratie da, wenn man versucht, Politik zur Religion zu machen.“ Unsere Gesellschaft, so Overbeck, tue gut daran, einer solchen „sprachlichen Verrohung und Gewalt rechtzeitig entgegenzutreten und ihr in unserem politischen Diskurs keinen Platz zu geben.“ Als demokratie- und friedensgefährdend sieht es der Ruhrbischof auch an, „wenn Menschen sich schwertun, Werte wie Freiheit und Frieden zu vertreten, weil sie sich sozial und wirtschaftlich an den Rand unserer Gesellschaft gestellt fühlen.“ Den inneren sozialen und den äußeren politischen Frieden betrachtet der Ruhrbischof als zwei Seiten derselben Medaille.
Der FDP-Politiker Nils Gründer präsentierte sich seinem Publikum „als gläubiger Mensch“ und politisch in Sachen deutscher Waffenlieferungen auf der Linie seiner Parteifreundin Strack-Zimmermann. „Ich sehe es als ein moralisches Dilemma, wenn russische Soldaten jetzt auch mit deutschen Waffen getötet werden. Aber ich sehe in der jetzigen Situation auch keine Alternative zu deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine, die ihre Rechte auf nationale Selbstbestimmung und territoriale Integrität gegen den russischen Angriffskrieg verteidigt.“
Die Politikwissenschaftler Gawrich und Debiel waren sich einig, dass es einen politisch potenten Mediator brauche, um einen diplomatischen Weg zu Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen zwischen den Präsidenten der Ukraine und Russlands, Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin zu ebnen. Debiel sagte: „Bis zum Parteitag der Kommunistischen Partei hatte ich gehofft, dass vielleicht China diese Rolle einnehmen könnte. Doch daran habe ich nach dem Parteitag große Zweifel.“ Für seine Kollegin Gawrich steht außer Frage, „dass die Vereinten Nationen mit einer UN-Mission „ihre derzeit halbherzige und passive Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine endlich überwinden müssen.“
Eine vergleichbare Haltung warf sie angesichts der Unterstützung Putins durch seinen ehemaligen KGB-Kollegen, den Moskauer Patriarchen Kyrill I. auch den christlichen Bischöfen vor. Von ihnen forderte sie „eine maximale Distanzierung“! Bischof Overbeck machte deutlich, „dass ich dazu klare Worte gefunden habe, aber auch verstehen kann, wenn einige Bischöfe in Europa Brücken des Dialogs bauen und die ökumenische Zusammenarbeit in Europa nicht zerstören wollen.“
Ganz nah kam der Krieg in der Ukraine, als sich ein Mitarbeiter der ukrainischen Caritas aus Kiew zuschaltete und betonte, „dass die Ukraine mit der militärischen Unterstützung ihrer westlichen Partner nicht nur sich selbst, sondern auch den Frieden und die Freiheit Europas und der Welt gegen den russischen Präsidenten Putin verteidigt, damit andere autokratische Aggressoren seinem Vorbild nicht folgen.“ Für den Caritas-Mann aus der Ukraine steht fest, „dass es niemals zu diesem Krieg gekommen wäre, wenn der Wunsch der Ukraine nach einer Nato-Mitgliedschaft erfüllt worden wäre.“ In diesem Zusammenhang attestierte Andrea Gawrich der Ukraine auch „das Recht auf eine freie Bündniswahl.“
Publikumsstimmen, die vor einer zu aggressiven Expansionspolitik der Nato warnten und den Nato-Einsatz im Kosvo (1999) mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine verglichen, trat die Politikwissenschaftlerin entgegen, in dem sie deutlich machte, dass die Nato ein Verteidigungs- und kein Angriffsbündnis sei und im Kosovo, im Einklang mit dem Völkerrecht, der von der eigenen Regierung bedrohten Bevölkerung militärisch beigestanden habe. Das von Putin immer wieder beschworene „Bedrohungsszenario einer sich nach Osten ausdehnenden Nato“ nannte sie in diesem Zusammenhang: „konstruiert.“
Eine online aus Essen zugeschaltete Pax-Christi-Aktivistin warnte allerdings davor, „dass wir die Diskussion über den Krieg in der Ukraine nur noch militärisch führen und so eine Militarisierung unserer Gesellschaft zulassen.“ Alle,“ die bei uns in der Öffentlichkeit Verantwortung tragen“, betonte die Frau von Pax Christi, hätten die Pflicht, „sich nicht damit abzufinden und dem entgegenzuwirken, dass wir in einer Welt leben, in der wir unsere Konflikte nur noch mit Gewalt lösen und die Möglichkeiten einer diplomatischen Friedenslösung aus den Augen verlieren.“ Dazu passte auch das Schlusswort des Akademiedozenten und Moderators, Mark Radtke, der am Ende des Abends sagte: „Ich hoffe, dass das, was jetzt unmöglich scheint, bald doch Wirklichkeit wird, nämlich Frieden in der Ukraine und Frieden in Europa.“
Auf dem Podium:
Dr. Franz-Josef Overbeck ist seit 2009 Bischof von Essen. Innerhalb der Bischofskonferenz ist er für die Lateinamerikahilfe und für die Militärseelsorge sowie als Vizepräsident der Kommission der Europäischen Bischofskonferenz auch für die internationale Zusammenarbeit zuständig. 1964 in Marl geboren, wurde er nach seinem Theologiestudium in Münster und Rom 1989 zum Priester geweiht.
Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Tobias Debiel lehrt seit 2006 an der Universität Duisburg-Essen Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik. Er ist dort, ebenfalls seit 2006, Direktor des Institutes für Entwicklung und Frieden. Forschungsaufenthalte und Gast-Dozenturen haben ihn in den vergangenen Jahren nach China, Israel und Australien geführt.
Die 1970 in Witten geborene Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Andrea Gawrich lehrt seit 2012 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihr Arbeitsbereich sind die Themen Internationale Integration und Osteuropa. Von 1989 bis 1997 hat sie an der Ruhr-Universität Bochum Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Politikwissenschaften und Sozialökonomie studiert. 2002 legte sie dort ihre sozialwissenschaftliche Doktorarbeit zum Thema: ethnische Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens.vor. 2011 folgte ihre politikwissenschaftliche Habilitationsschrift: „Strategien der Demokratieförderung in Europarat und OSZE“.“ Sein 2021 ist sie Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaften. Von 2003 bis 2008 gehörte sie dem Renovabis-Aktionsausschuss der Deutschen Bischofskonferenz an, der für die katholische Osteuropa-Hilfe zuständig ist.
Nils Gründer wurde 1997 in Nürnberg geboren. Er hat nach seinem Abitur 2016 Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Universität Regensburg studiert. Von 2018 bis 2020 war er stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Bayern. 2022 rückte der Account-Manager einer PR-Agentur für den ausgeschiedenen FDP-Bundestagsabgeordneten Thomas Sattelberger in den Deutschen Bundestag nach, wo er dem Verteidigungsausschuss angehört.
Akademiedozent und Moderator Mark Radtke wurde 1991 in Lingen an der Ems geboren. Der katholische Theologe und Sozialwissenschaftler ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er arbeitet seit 2019 an der Katholischen Akademie und ist dort für den Fachbereich Sozialethik und Gesellschaftspolitik zuständig.
Thomas Emons