Experte: Weihnachtsmärkte in Identitätskrise

Die Lichter sind nicht ausgegangen. Weihnachtsmärkte erfreuen sich eines guten Zuspruchs. Doch ein Kulturwissenschaftler befürchtet, dass sie zunehmend ihre Identität verlieren. Und immer austauschbarer werden.
Die Lichter sind nicht ausgegangen. Weihnachtsmärkte erfreuen sich eines guten Zuspruchs. Doch ein Kulturwissenschaftler befürchtet, dass sie zunehmend ihre Identität verlieren. Und immer austauschbarer werden.

(Symbolfoto: André Przybyl)

Bonn – Weihnachtszauber weit und breit? In ganz Deutschland haben die Weihnachtsmärkte geöffnet – fast 3.000 zwischen Flensburg bis Garmisch, wie der Deutsche Schaustellerbund (DSB) schätzt. 28 Tage Glühwein-, Bratwurst- und Reibekuchenduft. Ein sehr langer Advent, erstmals wieder ohne Corona-Beschränkungen.

Aufatmen für die gebeutelten Innenstädte, die durch Corona und verstärktes Online-Shoppen ziemlich gelitten haben. Aufatmen auch für die Schausteller, die angesichts vieler wegen Corona ausgefallener Jahrmärkte und Kirmes-Veranstaltungen um ihre Existenz fürchteten. Auf fast 2,9 Milliarden Euro schätzt der Verband den Umsatz der Weihnachtsmärkte in der Vor-Corona-Zeit.

Der Zuspruch sei bislang sehr gut, sagt der Hauptgeschäftsführer des DSB, Frank Hakelberg. Schon die Volksfeste im Sommer hätten gezeigt, dass sich die Menschen wieder nach Gemeinschaftserlebnissen sehnten. „Es gab nicht die befürchtete Pleitewelle“, so der Verbandschef. Dank staatlicher Hilfen. „Aber die Branche hat auch überlebt, weil viele der Familienbetriebe Nischen gesucht haben“, weiß er.

Dass dann wegen des Krieges in der Ukraine und der drohenden Energieknappheit die Weihnachtsmärkte erneut von Politikern und Umweltschützern in Frage gestellt wurden, hat den Schaustellerbund verärgert. Schließlich hätten die Betriebe schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse seit Jahren auf LED-Beleuchtung umgestellt und zuletzt auch in Energie sparende Technik für Fritteusen, Grills und Getränke investiert.

„Natürlich verbrauchen Weihnachtsmärkte Strom, aber unsere 160 Millionen Gäste würden stattdessen in ihren geheizten und erleuchteten Wohnungen sitzen, Fernsehen oder Computer nutzen und Essen kochen“, rechnet Hakelberg vor. So gesehen, seien die Märkte sogar Energiesparer. Auf stimmungsvolle Beleuchtung wollen die Schausteller aber auf keinen Fall verzichten. „Licht gehört wie Duft zum Weihnachtsmarkt dazu und ist ein elementarer Bestandteil der Stimmung“, sagt der Hauptgeschäftsführer. „‚Licht aus‘ bedeutet schlicht: Der Spaß ist vorbei.“

Klar ist, dass wegen der Energiekrise auch auf den Märkten die Preise für Glühwein, Bratwurst und Karussells steigen. „Wir wissen aber, dass die Weihnachtsmärkte familienorientierte Feste sind“, sagt Hakelberg. „Da müssen die Preise auch für Familien tragbar bleiben.“

Bleibt die Frage nach der inhaltlichen Gestaltung. Der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder sieht sie in einer Identitätskrise. Insbesondere die großen Märkte mit ihren Fahrgeschäften entwickelten sich immer mehr zu einer Winterkirmes, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sie würden austauschbar und beliebig.

Aus Sicht des Kulturhistorikers fehlt den Weihnachtsmärkten mittlerweile ein Markenkern. „Die Krippe steht neben dem Rentier und der Apres-Ski-Hütte.“ Innovationen beschränkten sich darauf, dass neben Glückwein auch Caribic Punsch oder Glühgin angeboten werde.

Das hat aus seiner Sicht auch mit dem Ansehensverlust der Kirchen und der schwindenden Bedeutung des christlichen Glaubens in der Gesellschaft zu tun. Aus Weihnachten wird erst Christmas, dann X-Mas. Und aus dem Nikolaus der Weihnachtsmann, das russische Väterchen Frost oder gleich ein gemütlicher Bär mit Zipfelmütze. „Die heutige Dekoration ist eine Mischung aus Fantasyroman, Ikea und Landlust“, sagt Hirschfelder. Dass in diesem Jahr wegen der Energiekrise auch noch viele Kirchen, die oft als Anker die Atmosphäre der Märkte bestimmten, auf festliche Beleuchtung verzichteten, trage zu einer weiteren Entleerung bei.

Hakelberg sieht das ein wenig anders: Zwar gebe es die großen Weihnachtsmärkte mit viel Trubel und Kirmes-Charakter. Andererseits aber seien viele kleine und feine Märkte in Dörfern, Klöstern oder Höfen entstanden, die Wert auf Handwerk, Regionales und besinnliche Atmosphäre legten.

„Weihnachtsmärkte bleiben für viele Menschen ein Ort der Identifikation mit ihrer Stadt oder Gemeinde“, sagt der Hauptgeschäftsführer. Freunde und Nachbarn verabredeten sich, Arbeitskollegen träfen sich zur Weihnachtsfeier. „Die Weihnachtsmärkte sind wichtige Elemente im Freizeitverhalten des Dezembers.“

Von Christoph Arens (KNA)|