„Der Sommer war sehr groß.“ Frei nach Rilke ließe sich das vergangene Papst–Jahr lyrisch zusammenfassen. Nach sommerlichen Rücktrittsgerüchten war das Jahr arbeitsam: Kurienreform, Weltsynode und interreligiöser Dialog.
Von Anna Mertens (KNA)
Vatikanstadt (KNA) Papst Franziskus macht um seinen Geburtstag wenig Aufsehen. Auch in diesem Jahr wird er wohl am 17. Dezember, einem Samstag, mehr arbeiten, weniger feiern. Dabei ist er mit dem diesjährigen, dem 86., seit mehr als einem Jahrhundert der älteste amtierende Papst. Sein Vorgänger Benedikt XVI. trat mit 85 zurück, Johannes Paul II. starb mit 84, Paul VI. im Alter von 80 Jahren. Franziskus interessiert dieses Detail wohl kaum. Auch der bevorstehende 10. Jahrestag seiner Wahl im März 2023 dürfte Randthema sein. Die Arbeit ruft.
Franziskus ist nicht amtsmüde. Das vergangene Jahr war geprägt von Gerüchten und Spekulationen um seine Gesundheit. Alles begann mit den offensichtlichen Kniebeschwerden. Trotz aller Therapieversuche – Operation auf Papstwunsch ausgeschlossen – wurde das schmerzende Gelenk mit lädierten Bändern nicht besser. Treffen, Reisen, so der lang geplante Afrika-Besuch, und Messen wurden abgesagt. Nicht alle Termine, aber immer wieder. Ein Rollstuhl wurde angeschafft, eine Gehhilfe ebenfalls.
Als dann auch noch eine außerordentliche Kardinalsversammlung für Ende August anberaumt wurde und der Papst einen Kurztrip nach L’Aquila zum Grab seines Vorgängers Coelestin V. ankündigte – da wurde aus dem Brodeln ein Toben. Journalisten bereiteten sich auf den Fall der Fälle vor. Abgesänge wurden geschrieben. Coelestin V. gilt als erster Papst, der freiwillig das Papstamt abgab. Benedikt XVI. legte einst in einer vielgedeuteten Geste bei einem L’Aquila-Besuch seine Stola, das Pallium, auf Coelestins Grab.
Doch nichts passierte: ein Sturm im Wasserglas. Stattdessen stand das Treffen der Kardinäle – direkt nach Erhebung zahlreicher Franziskus-naher Kardinäle – im Zeichen der Kurienreform. Die hatte der Papst nach jahrelanger Arbeit und Teilumsetzung im März veröffentlicht. Völlig unerwartet, selbst Vatikanbehörden fühlten sich überrumpelt. Bis Übersetzungen des teils ungeschliffenen Textes fertig waren, dauerte es Monate.
Doch Franziskus ist nicht nur nicht amtsmüde, er ist voller Tatendrang. Dem Inkrafttreten der Reform Anfang Juni, die unter anderem die Rolle von Laien stärkt und die Macht von Kurialen beschränkt, sollten Taten folgen. Im Maschinenraum des Vatikan schwitzt man seither. Neue Personalien, Transparenz im Bereich Finanzen – nicht unwichtig für den laufenden Vatikan-Strafprozess -, eine Stärkung der Kinderschutzkommission oder ein neuer Chef für die Evangelisierungsbehörde: den Posten übernimmt der Papst persönlich. Und nebenbei unerwartete Franziskus-Entscheidungen, etwa die Auflösung der bisherigen Leitungsstrukturen des renommierten Malteserordens oder das Absetzen der Leitung von Caritas Internationalis.
Die Umsetzung der meisten Papst-Entscheidungen ist längst nicht abgeschlossen. Ebenso wenig wie die seit rund einem Jahr laufenden Weltsynode. Genauer gesagt: die Synode zur Synodalität. Das päpstliche Herzensanliegen ist ein mehrjähriger Prozess mit diözesaner und kontinentaler Phase – bis hin zu zwei für 2023 und 2024 geplanten Bischofssynoden in Rom.
Der synodale Prozess erhält Zustimmung, aber auch nicht wenig Gegenwind. Manch ein Bischof sorgt sich um die kirchliche Lehre, ein anderer mehr um seine Position. Die Deutschen mit ihrem parallel laufenden Synodalen Weg sind spezielle Kandidaten. Spätestens der im November absolvierte Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe sorgte für viel Nervosität – nicht nur in Deutschland.
Doch Franziskus sieht lieber in die Ferne. Seine Reise Anfang April in das traditionell erzkatholische Malta glich einem Heimspiel. Anders die Reise nach Kanada Ende Juli: Die Bußreise, wie er sie selbst nannte, stand unter dem dunklen Stern unbeschreiblicher Misshandlungen Indigener an oft katholisch geführten Internaten. Franziskus bemühte sich redlich um Vergebung und Versöhnung – nicht ohne Kritik der Überlebenden.
Da Franziskus nur sowohl nach Russland als auch in die Ukraine reisen will, das Verhältnis zu Moskau aber gespannt ist, fanden bislang beide Reisen nicht statt. Stattdessen reisten mehrere Kardinäle, darunter Kardinal Konrad Krajewski und Kardinal Michael Czerny, mehrfach in das ukrainische Kriegsgebiet. Der Papst wurde das ganze Jahr lang nicht müde, den Frieden durch alle Parteien einzufordern. Manch einer kritisierte seine diplomatischen Bemühungen als zu russlandfreundlich.
Der tiefe Wunsch nach Frieden dürfte auch ein Motiv für seine beiden interreligiösen Reisen nach Kasachstan im September und Bahrain im November gewesen sein. Denn ohne Dialog besteht für den Argentinier keine Chance auf Frieden. Und für echten Dialog braucht es echte Begegnung. Die sucht Franziskus weiterhin täglich. Sie bleibt sein Lebenselixier.