Aus Syrien zum Freiburger Münster

Der Erhalt der mittelalterlichen Kulturdenkmäler ist eine Mammutaufgabe. An der Freiburger Münsterbauhütte arbeitet nun auch ein syrischer Kriegsflüchtling mit.
Aus Syrien zum Freiburger Münster

Symbolfoto: 3157171/Pixabay

Freiburg –Der Erhalt der mittelalterlichen Kulturdenkmäler ist eine Mammutaufgabe. An der Freiburger Münsterbauhütte arbeitet nun auch ein syrischer Kriegsflüchtling mit. Helfen wollen die Experten auch in Kiew. In ruhigen Worten beschreibt Musab Jabri, was er manchmal selbst nicht recht glauben kann: „2016 bin ich mit meiner Familie vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen, ich kannte niemanden und sprach kein Wort Deutsch. Und jetzt kann ich meine Steinmetz-Ausbildung in der Freiburger Münsterbauhütte abschließen.“

Mit gleichmäßigen, sauber platzierten Schlägen setzt der 38-Jährige das Spitzeisen an. Aus einem sofatischgroßen Sandsteinblock soll ein Maßwerk entstehen, ein geschwungenes Zierelement für die Sanierung des Freiburger Wahrzeichens. „Es ist eine große Freude und Befriedigung, Steine zu bearbeiten, die dann vielleicht für Jahrhunderte am Münster bleiben werden.“

Erhalt und Sanierung des Freiburger Münsters sind eine nie endende Herausforderung. Dabei treffen sich historisch überlieferte handwerkliche Fertigkeiten und Hightech: Mit 3D-Laserscan und Windsimulationen werden statische Modelle berechnet. Materialwissenschaftler vergleichen historische und neue Mörtelmischungen. Und immer wieder sind die modernen Münsterbauexperten fasziniert, welche technischen Lösungen ihre Vorgänger im Mittelalter fanden.

„Das führt dazu, dass uns heute sehr häufig gerade nicht die mittelalterlichen Originalsteine die größten Probleme machen, sondern die, die vor wenigen Jahrzehnten bei vorausgegangenen Sanierungen erneuert wurden“, erklärt Hüttenbaumeister Uwe Zäh.

Aktuell sind das beispielsweise Bauelemente rund um das Langhaus, die ab den 1930er Jahren restauriert wurden. Weil der damals verwendete Sandstein Ton enthält, bröckelte das Material vielfach schon nach wenigen Jahren. „Durch Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit arbeitet dieser tongebundene Sandstein und reißt im schlimmsten Fall auf wie ein Blätterteig“, so Zäh. Er muss auf dem Gerüst nicht weit gehen, um entsprechende Stellen zu finden. Um diese Fehler nicht erneut zu begehen, ist das Prüfen der Steinqualität zu einer eigenen Wissenschaft geworden.

Seit 2020 sind Tradition und Fertigkeiten des Münsterbauhüttenwesens sogar als Unesco-Welterbe anerkannt – im Register guter Praxisbeispiele zum Erhalt Immateriellen Kulturerbes. Münsterbaumeisterin Anne-Christine Brehm freut sich über diese Anerkennung. „Das ist zugleich Ansporn, sich unserer Verantwortung und Tradition immer neu bewusst zu sein.“ Derzeit beraten die deutschen Münster- und Dombauhütten, wie sie die prestigereiche Auszeichnung bekannter machen und für ihre Arbeit nutzen können.

Aktuell macht Brehm aber vor allem die Finanzierung Sorgen. Der Jahresetat der Bauhütte mit etwa 40 Mitarbeitenden liegt bei rund 3,5 Millionen Euro. Die Gelder stammen von Staat, Kirche und vor allem aus Spenden. „Die Identifikation und Spendenbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Münster bleibt dankenswerterweise sehr hoch. Aber wir spüren deutlich, dass die aktuellen Krisen und Teuerungen aller Lebensbereiche bei uns zu geringeren Spendenhöhen führt.“

Eine Entwicklung, die auch bundesweit viele weitere Dom- und Münsterbauhütten betrifft, wie Brehm berichtet. Zugleich gebe es immer höhere bürokratische Anforderungen bei der Arbeit, etwa auch bei der Dokumentation.

Bei der jüngsten Jahrestagung der europäischen Münster- und Dombauhütten berichtete eine Kiewer Expertin allerdings von weitaus existenzielleren Gefahren: Die russischen Angriffe hätten in der ganzen Ukraine bereits zahlreiche Kirchengebäude beschädigt und zerstört. Die Sorge vieler Ukrainer sei, dass Russland über die Baudenkmäler die ukrainische Geschichte auslöschen will.

Um im Falle einer Beschädigung zumindest die weltberühmte Sophienkathedrale in Kiew wieder rekonstruieren zu können, finanzieren die europäischen Münster- und Dombauhütten jetzt eine aufwendige 3D-Vermessung. Genau dieses Verfahren war es auch, dass einen schnellen Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame nach dem verheerenden Brand im Jahr 2019 ermöglicht.

Der Freiburger Steinmetz-Azubi Musab Jabri ist sichtlich stolz, ein Teil des international vernetzten Bauhüttenteams zu sein. „Ohne die große Unterstützung meiner Kollegen hätte ich es nie geschafft. Allein wegen der schwierigen Sprache.“ Sein für das Steinmetz-Handwerk unverzichtbares künstlerische Talent hatte Jabri in seiner syrischen Heimat als Modedesigner entfaltet. „Aber ich will nicht zur Mode zurück, ich bin jetzt Steinmetz.“

Inzwischen plant er sein Gesellenstück und bereitet sich auf die Abschlussprüfung der Ausbildung vor. Gerne würde Jabri weiter für die Bauhütte arbeiten. Nach bestandener Prüfung aber muss er – so ist es üblich in den Bauhütten der Kathedralen – mehrjährige Erfahrungen in anderen Bereichen sammeln.

Die Arbeit am Münster jedenfalls wird auch dann nicht ausgehen. Als nächstes Großprojekt steht der Abschluss der Turmsanierung an. Der nächste Abschnitt soll 2024 starten und ist für rund zehn Jahre projektiert. Ob Musab Jabri dann dabei sein wird?

Volker Hasenauer (KNA)