Gesellschaften wie die deutsche neigen nach Worten des Soziologen Ulrich Bröckling dazu, „die Realität des Krieges zu exterritorialisieren“, also gewissermaßen auszulagern.
Weinheim – Gesellschaften wie die deutsche neigen nach Worten des Soziologen Ulrich Bröckling dazu, „die Realität des Krieges zu exterritorialisieren“, also gewissermaßen auszulagern. „Das darf weit weg in Afghanistan stattfinden, aber nicht bei der Gartenparty, wo der gerade zurückgekehrte Nachbar mir seine gruseligen Kriegsgeschichten erzählen will“, sagte Bröckling der Zeitschrift „Psychologie Heute“ (Februar-Ausgabe). Veteranen beklagten diese Versagung gesellschaftlicher Anerkennung noch häufiger als unzureichende medizinische, psychologische oder finanzielle Unterstützung.
Die Erfahrungen, die diese Menschen gemacht hätten, „dementieren den Mythos vom Krieg als Bühne heroischen Kämpfertums“, erklärte der Wissenschaftler. Die Rede vom postheroischen Zeitalter sei in den USA nach dem Ende des Vietnamkriegs erstmals aufkommen. Es habe sich gezeigt, dass die Gesellschaft nicht länger bereit gewesen sei, die eigenen Kinder massenhaft in den Krieg zu schicken. „Die Konsequenz war keineswegs ein Verzicht auf militärische Einsätze, sondern die Umrüstung auf neue Waffensysteme. Den vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung bildet der Drohnenkrieg, der vor allem dadurch motiviert ist, die eigenen Truppen zu schützen.“
Umgekehrt sei die Heroisierung von Kriegsveteranen „gewissermaßen die symbolische Kompensation“ einer Zumutung durch den Staat: Es sei „alles andere als selbstverständlich, dass sich Menschen für einen Krieg einspannen lassen“, sagte Bröckling. Wenn ihnen Orden verliehen oder Denkmäler gesetzt würden, gehe es einerseits um die Mobilisierung von Opferbereitschaft, aber auch darum, die Opfer nachträglich zu rechtfertigen.
Die Menschen liebten Heldengeschichten im Kino oder im Fußballstadion, wollten selbst aber von „heroischen Anforderungen“ verschobt bleiben. „Ich halte das für einen zivilisatorischen Fortschritt“, sagte der Soziologe. In Superheldenfilmen oder im Sport lasse sich vieles „trefflich heroisieren, ohne dass sich damit solche moralischen Probleme auftun wie bei Kriegshelden, vom Doping mal abgesehen“.
Im Alltag werde der Begriff inzwischen geradezu inflationär verwendet, fügte Bröckling hinzu. So würden Menschen in der Werbung zu „Grillhelden“, ebenso Produkte, etwa eine Kuchenglasur zur „Heldin des Alltags“. Diese „Veralltäglichung und auch die ironische Verwendung“ deuteten darauf hin, dass Heldengeschichten etwas Unzeitgemäßes hätten: In modernen, hoch technisierten Gesellschaften komme „kein weißer Ritter und wendet im Handstreich alles zum Guten“.
Wenn eine Krise auf die andere folge, sehnten sich jedoch viele Menschen nach Helden, „obwohl alle wissen, dass die starken Männer und die mutigen Frauen oft mehr Probleme machen, als sie lösen können“. Diejenigen, die zu Helden gemacht würden, wehrten sich bisweilen sogar dagegen. Als Beispiel nannte der Experte die Pflegekräfte und Supermarkt-Kassierenden während der Corona-Pandemie: „Die waren eher genervt von dem ganzen Heldenbrimborium und haben stattdessen gefordert: Bezahlt uns lieber ordentlich und tut etwas für unsere Sicherheit.“