Benedikt XVI.: Erzbistum zu neuen Recherchen in Missbrauchsfall

Neue Recherchen von Correctiv und Bayerischem Rundfunk werfen die Frage auf, ob Kardinal Ratzinger im Fall des mehrfachen Missbrauchstäters H. früher hätte reagieren müssen.
Benedikt XVI.: Erzbistum zu neuen Recherchen in Missbrauchsfall

Benedikt XVI. (Foto: © Mario Bonotto | Dreamstime.com)

Neue Recherchen von Correctiv und Bayerischem Rundfunk (BR) werfen die Frage auf, ob Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. (1927-2022), im Fall des mehrfachen Missbrauchstäters H. früher hätte reagieren müssen. Spätestens 1986 habe er von dessen Vergehen gewusst, aber nichts dagegen unternommen, dass H. weiter in der Seelsorge eingesetzt wurde, wo es zu zahlreichen weiteren sexuellen Übergriffen kam.

BR und Correctiv berichten über einen Briefwechsel von 1986, der belege, dass Ratzinger damals als Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan über die Taten des Priesters informiert worden sei. Das Erzbistum München und Freising bestätigte am Mittwoch diese Darstellung auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Konkret geht es in dem Briefwechsel um Folgendes: Nachdem H. im Juni 1986 zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war, hatte sich der stellvertretende Münchner Generalvikar Bernhard Egger an den Vatikan gewandt. In einem Schreiben habe er darum gebeten, dass H. wegen „absoluter Alkoholunverträglichkeit“ die Messe künftig mit Traubensaft statt Wein feiern dürfe.

Zur Begründung hieß es, der Priester habe in „alkoholisiertem Zustand“ Straftaten begangen nach Paragraf 174, 176 und 184 Strafgesetzbuch, wo es um sexuelle Übergriffe und Missbrauch geht. Das Antwortschreiben sei vom Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, gekommen. Darin habe er die Ausnahmeregelung genehmigt.

Der Fall H. nimmt im 2022 veröffentlichten Münchner Missbrauchsgutachten einen großen Raum als „Fall X“ ein. Die Anwälte äußerten darin Zweifel an der Aussage von Benedikt XVI., er habe 1980 als Münchner Erzbischof (1977-1982) nichts von der Missbrauchs-Vorgeschichte des aus Essen kommenden Priesters gewusst, als er dessen Einsatz in einer Pfarrei in seinem Erzbistum zustimmte. Der emeritierte Papst blieb jedoch stets bei seiner Darstellung zum Jahr 1980.

Sämtliche Schreiben in dieser Angelegenheit – auch das von 1986 – wurden laut dem Sprecher des Erzbistums auch der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vorgelegt. In deren Missbrauchsgutachten wird der Sachverhalt im Sonderband zu H. einzig auf Seite 36 erwähnt. Darin heißt es: „Auf entsprechenden Antrag der Erzdiözese München und Freising erhielt Priester X. von der zuständigen Behörde im Rom im Oktober 1986 die Erlaubnis, mit Traubensaft zu zelebrieren.“ Da die Kanzlei vor allem das Verhalten der Verantwortlichen im Erzbistum selbst untersuchte, stand der Umgang der im Vatikan Zuständigen mit Missbrauch nicht im Fokus.

Pfarrer H. war 1980 aus Essen nach München gekommen und sollte sich dort nach einschlägigen Vorwürfen zunächst einer Therapie unterziehen. Bald aber wurde er wieder in der Seelsorge eingesetzt, auch nach seiner rechtskräftigen Verurteilung. Erst 2010 wurde H. in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Seit 2020 lebt er unter Auflagen wieder im Bistum Essen. 2022 wurde er auch aus dem Klerikerstand entlassen.

kna