EKD-Ratsvorsitzende: Keine Pflicht zu radikalem Pazifismus

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hält Waffenlieferungen als Hilfe zur Selbstverteidigung an die Ukraine für eine „christlich verantwortbare Entscheidung“.
Frankfurt – Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hält Waffenlieferungen als Hilfe zur Selbstverteidigung an die Ukraine für eine "christlich verantwortbare Entscheidung".

EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus. –Foto: EKD/Jens Schulze

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hält Waffenlieferungen als Hilfe zur Selbstverteidigung an die Ukraine für eine „christlich verantwortbare Entscheidung“. Es gebe „keine christliche Pflicht zu radikalem Pazifismus und absolutem Gewaltverzicht“, schreibt Kurschus in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Freitag). Allerdings dürfe man dabei „die pazifistische Einsicht nicht vergessen“, dass Waffen allein nicht Frieden schaffen könnten. Es gelte also, alles Handeln auf einen Waffenstillstand auszurichten.

Kurschus: Menschen dürften nicht hinter den Zahlen verschwinden

„Zu Beginn des Krieges war die Aufmerksamkeit für die leidenden, verwundeten, getöteten Menschen hoch und das Entsetzen über die rohe Gewalt groß“, erinnerte Kurschus. Inzwischen drohe das Töten Teil der Nachrichtenroutine zu werden: Wir hören von Waffengattungen und Panzernamen, von Städten und Truppenbewegungen, von Toten im Hunderterpack.“ Die gestorbenen und verstümmelten Menschen dürften aber nicht hinter den Zahlen verschwinden.

Im christlichen Mitleiden für die Toten dieses Krieges dürfe man den Unterschied zwischen Tätern und Opfern „nicht wegreden“, betonte die EKD-Ratsvorsitzende. Die Täter müssten „nach dem Krieg bestraft und die Opfer ins Recht gesetzt“ werden. Die Toten könne man „weder auf Helden für die gute Sache noch auf Handlanger eines Kriegsverbrechers reduzieren“. Über dem „großen Ganzen“ – Freiheit, demokratischen Werten, Völkerrecht – dürfe auch „das Recht des Einzelnen auf sein unersetzbares Leben“ nicht vergessen werden.

Selbst ein Sieg über Russland schaffe noch keinen Frieden

Russischen Erwartungen auf weitere Geländegewinne müsse man womöglich entgegentreten, schreibt Kurschus. Doch nach einem Jahr Krieg drohe laut Fachleuten „ein noch Jahre dauernder Stellungskrieg, der weitere Hunderttausende Menschenleben fordert“. Das dürfen man „im Namen der Menschlichkeit nicht geschehen lassen“. Es sei zu fragen: „Wann werden zu viele Leben ausgelöscht, zu viele Körper versehrt, zu viele Kinder um ihre Bildung gebracht, zu viele Regionen irreparabel zerstört sein?“ Selbst ein Sieg über Russland schaffe noch keinen Frieden, so die EKD-Präses – „wie immer man sich einen Sieg über eine Atommacht überhaupt vorstellen mag“.

kna