Die Unabhängige Aufarbeitungskommission hat ein neues Konzept für Studien zum Zusammenhang sexualpädagogischer Vorstellungen und einer Begünstigung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche begrüßt.
Berlin – Die Unabhängige Aufarbeitungskommission hat ein neues Konzept für Studien zum Zusammenhang sexualpädagogischer Vorstellungen und einer Begünstigung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche begrüßt. Ein vorliegendes Konzept sei ein erster Schritt, um diesen Zusammenhang aufzuarbeiten, sagte der Wissenschaftler Heiner Keupp auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Donnerstag in Berlin.
Er ist Mitglied der Aufarbeitungskommission. Das 2016 ins Leben gerufene Gremium soll Ausmaß und Folgen von Kindesmissbrauch in Deutschland untersuchen. Aufgabe dabei ist es, bundesweit Betroffene anzuhören und deren Berichte sowie Dokumente von Institutionen auszuwerten.
Erziehungswissenschaftlerinnen der Humboldt-Universität in Berlin hatten am Montag ein Konzept für geplante Studien vorgelegt. Dabei geht es um die Fragen, wie Vorstellungen über Sexualität und Erziehung die Prävention oder Begünstigung sexualisierter Gewalt im Raum der evangelischen Kirche beeinflussen oder darum, welche historischen Quellen und welche Erzählungen von Betroffenen und Zeitzeugen zur Aufklärung herangezogen werden sollen.
Die Untersuchung nimmt die sexualpädagogische Entwicklung der 1960er bis 90er Jahre in den Blick, die als möglicher begünstigender Faktor für sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gilt. Protagonisten wie der Psychologe und Sexualtherapeut Helmut Kentler (1928-2008) hatten sich etwa für eine Legalisierung pädosexueller Handlungen eingesetzt und waren auch an evangelischen Einrichtungen tätig. Im Auftrag des Landes Berlin vermittelte Kentler von Ende der 1960er Jahre bis zum Anfang der 2000er Jahre als „Experiment“ Pflegekinder an pädophile Männer. Die Autoren verweisen auch auf die Bezüge evangelischer Einrichtungen zur Odenwaldschule, einer inzwischen geschlossenen Einrichtung der Reformpädagogik, in der jahrzehntelang sexueller Missbrauch stattfand.
Keupp wies darauf hin, dass aktuell Wissenschaftlerinnen im Rahmen eines Forschungsverbundes an einer umfangreichen Studie zu sexuellem Kindesmissbrauch im Bereich der evangelischen Kirche und Diakonie (ForuM-Studie) arbeiten. Diese Studie werde voraussichtlich Ende 2023 veröffentlicht. Die katholische Kirche hatte vor rund fünf Jahren eine Missbrauchsstudie (MHG) veröffentlicht. Keupp betonte, er erwarte einen umfassenden unabhängigen Aufarbeitungsprozess in allen evangelischen Landeskirchen.