Angst und Eierlikör: Aktenzeichen XY und Eduard Zimmermann

Über 30 Jahre prägte Eduard Zimmermann die bis heute laufende ZDF-Fahndungssendung „Aktenzeichen XY ungelöst“. Regina Schillings Doku „Diese Sendung ist kein Spaß“ zeigt unter anderem ein Erfolgsrezept: Die pure Angst.
Über 30 Jahre prägte Eduard Zimmermann die bis heute laufende ZDF-Fahndungssendung „Aktenzeichen XY ungelöst“. Regina Schillings Doku „Diese Sendung ist kein Spaß“ zeigt unter anderem ein Erfolgsrezept: Die pure Angst.

Eduard Zimmermann 1972. –Foto: ZDF/Renate Schäfer

Haben wir noch was zum Anstoßen? – Ne Flasche Eierlikör müsste noch da sein“. So brav-bieder und natürlich in schwarz-weiß sahen die 1960er Jahre im deutschen Fernsehen aus. Doch im Oktober 1967 wurde es ungemütlich. Da strahlte das damals noch junge ZDF zum ersten Mal Eduard Zimmermanns „Aktenzeichen XY ungelöst“ aus. Regina Schilling steigt in ihrem Film „Diese Sendung ist kein Spiel“ hinter die Kulissen dieses ersten „True Crime“-Formats und Zimmermann aufs Dach. Wie schon in ihrer mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten ARD-Doku „Kulenkampffs Schuhe“ fragt sie nach den gesellschaftspolitischen Zusammenhängen und der Intention des Machers.

Dieser Macher war Eduard Zimmermann. Mit seiner Sendung „Vorsicht Falle“, deren Untertitel „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ in den Sprachschatz eingegangen ist, hatte sich der damalige Mittdreißiger schon als Großwarner in die deutsche Kleinkriminalität eingearbeitet. Mit dem Fahndungsformat „XY“ folgte die erste interaktive Sendung, bei der Zuschauerinnen und Zuschauer selbst zu Ermittlern wurden. Und manchmal auch zu Denunzianten. „Den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen ist der Sinn unserer Sendung“ sagte Zimmermann bei der ersten Ausgabe am 20. Oktober 1967. „Und Angst einzuflößen“, ergänzt Regina Schilling mehr als 50 Jahre danach. Denn das tat „XY“, auch bei Prominenten wie Johannes B. Kerner, wie der Moderator gegenüber Eduard Zimmermann bei einem dessen seltener Talkshow-Auftritte bekannte.

Zimmermann war sich seiner Sache sicher, auch wenn sowohl beim ZDF als auch bei der Polizei zunächst Skepsis herrschte. „XY“, analysiert Schilling messerscharf, war „Adenauer-Fernsehen“: patriarchalisch-restaurativ, bieder-bürgerlich und ein bisschen obrigkeitshörig. Also genau das Programm, dass man sich auch vom ZDF erhofft hatte, als es noch eben dieses regierungsnahe Adenauer-Fernsehen werden sollte. Fahndungserfolge gleich in der ersten Sendung ließen die Kritiker bei der Polizei verstummen, außerdem konnten sich jetzt echte Kriminaler im TV präsentieren und ihre Fälle vorstellen. Für die nachgestellten Tathergänge sorgte Kurzfilmregisseur Kurt Grimm, der bis 1998 für „XY“ tätig war und mit seinen suspense-geladenen, atmosphärisch düsteren Clips ganzen Generationen Angst machte.

Was Regina Schilling an Beispielen für frauenfeindliche Geschlechterrollen, Homophobie und billige Schwarz-Weiß-Malerei aus alten „XY“-Ausgaben herausdestilliert, ist aus heutiger Sicht oft erschreckend. Der Film präsentiert diese Materialfülle gekonnt in akustischen Überblendungen.

Spätestens Anfang der 1970er Jahre gerieten „XY“ und Zimmermann mit dem Zeitgeist in Konflikt. Zu den wohl spektakulärsten Wiederentdeckungen von „Diese Sendung ist kein Spaß“ gehört, wie sehr sich damals die „linke“ ARD an Zimmermann abgearbeitet hat. Eine ganze Stunde lang wurde dem „Jagdfieber“ des anfangs stets im Dreiteiler moderierenden Biedermanns der Prozess gemacht. Das Denunziantentum, dass anfangs auch viele im ZDF gegen das „XY“-Konzept sein ließ, kam genauso zur Sprache wie ungerechtfertigte Verdächtigungen, bei denen Unschuldige in schiefes Licht gerieten. Zimmermann selbst trat in der ARD-Sendung an, mochte aber nur zuvor abgesprochene Fragen beantworten und keinesfalls diskutieren. Heute wäre ein solcher Schlagabtausch innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems undenkbar.

Regina Schilling verurteilt Zimmermann nicht, zeigt aber, dass der bis 1974 in schwarz-weiß sendende Moderator auch noch genauso schwarz-weiß dachte, als „XY“ schon farbig war. Anfang der 1980er etwa ordnete Zimmermann zwei politische Morde so ein: „Solche Fälle scheinen zu bestätigen, dass sich unter dem Deckmantel der grünen Bewegung, der man als fortschrittsgeplagter Mensch ja durchaus Sympathien entgegenbringt, eine neue Szene der Gewalt und der Intoleranz bildet“. Doch hinter den Morden stand nicht der von Zimmermann verdächtigte „Hass militanter Atomkraftgegner“, sondern palästinensische Terroristen in dem einen Fall; der andere ist bis heute nicht aufgeklärt.

Zimmermann, das macht „Diese Sendung ist kein Spiel“ klar, sah sich stets als Warner, als besorgter Familienvater, der auch anderen Töchtern das Trampen madig machte. Und für den „Angst eine pädagogische Wirkung“ hatte, wie er selbst im schon zitierten Auftritt bei „Kerner“ sagte. Ob Angst wirklich ein probates pädagogisches Mittel ist – diese Frage hat sich Eduard Zimmermann wohl nie gestellt.

Von Steffen Grimberg (KNA)