Überzeugte Europäerin

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Die deutsche Verteidigungsministerin wird als erste Frau das Amt an der Spitze der EU-Kommission übernehmen. Die überzeugte Protestantin gilt als leidenschaftliche Europäerin mit viel Durchsetzungswillen.

Gehandelt wurde sie schon für viele Spitzenämter: Als Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel war Ursula von der Leyen (beide CDU) ebenso im Gespräch wie als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt. Dass ausgerechnet der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die bisherige deutsche Verteidigungsministerin als EU-Kommissionspräsidentin vorschlug, galt als Überraschungscoup.

Doch immerhin wird sie von allen Staats- und Regierungschefs der EU unterstützt – nur Merkel enthielt sich bei der Abstimmung, wie es den Gepflogenheiten entspricht. Im EU-Parlament stimmten am Dienstag 383 Abgeordnete für von der Leyen, 22 enthielten sich, 327 stimmten gegen sie.

Von der Leyen ist überzeugte Europäerin, man könnte fast sagen von Geburt an. Sie kam 1958 in Brüssel zur Welt und wuchs zweisprachig auf. Seinerzeit arbeitete ihr Vater Ernst Albrecht (CDU), der spätere Ministerpräsident von Niedersachsen, für die im Aufbau befindliche Europäische Gemeinschaft. Von der Leyen ist auch Mitglied der überparteilichen Europa-Union Deutschland (EUD), die sich für die Einigung eines föderalen Europas einsetzt. 2011 warb sie sogar einmal für „die Vereinigten Staaten von Europa“ nach dem Vorbild Deutschlands oder der USA. Die Integration ist für sie schon aus machtpolitischen Gründen gegenüber Russland, China und den USA entscheidend.

Von der Leyen wuchs in einem protestantisch geprägten Elternhaus auf und ist Mitglied in der evangelisch-lutherischen Kirche. 1978 spielte Familie Albrecht öffentlichkeitswirksam das Volkslied „Wohl auf in Gottes schöne Welt“ auf einer Wohltätigkeits-Single ein. Die junge Medizinerin ordnete später eine geplante Karriere als Ärztin der wachsenden Kinderzahl und den familiären Aufgaben unter. 1992 folgte sie ihrem Mann Heiko Echter von der Leyen zu einem Forschungsstipendium an die renommierte US-Universität Stanford.

Ähnlich wie ihre Förderin Merkel fand sie erst spät in die aktive Politik, zog 2003 in den niedersächsischen Landtag ein und wurde Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. Merkel holte sie 2005 zu den Bundestagswahlen in ihr „Kompetenzteam“ und übertrug ihr seitdem in jedem Kabinett einen Ministerposten. Die jugendlich-forsch wirkende Mutter von sieben Kindern galt Konservativen als Vorzeigefamilienministerin und Liberalen als Verheißung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Im Familienministerium sorgte sie gegen erheblichen Widerstand vor allem aus der CSU für eine Modernisierung des Familienbilds der Union. Mit der Einführung des Elterngelds als Lohnersatzleistung folgte sie dem Leitbild der doppelt berufstätigen Eltern und einer liberalen Gleichstellungspolitik. Sozialverbände und Gewerkschaften wiederum warfen ihr vor, Arme und Geringverdiener zu benachteiligen.

Für scharfe Kontroversen sorgte auch der vor ihr vorangetriebene Ausbau der Krippenplätze. Während Vertreter der Wirtschaft und die gesamte Opposition das Vorhaben unterstützten, warfen ihr Vertreter des konservativen Flügels von Union und katholischer Kirche den Abschied vom traditionellen Familienbild vor.

Dabei hielt sie stets an ihrer christlichen Grundüberzeugung fest. Mit dem damaligen katholischen Familienbischof, Kardinal Georg Sterzinsky, und Landesbischöfin Margot Käßmann lud sie die Kirchen zu einem „Bündnis für Erziehung“ ein, um Kindern von klein auf Werte zu vermitteln. Als Verteidigungsministerin rechtfertigte sie ihr Amt bei einer Predigt auf dem Evangelischen Kirchentag mit der christlichen Verpflichtung, „aktiv Verantwortung für den Frieden zu übernehmen“.

Die internationalen Kontakte, die sie an der Spitze des Verteidigungsministeriums knüpfen konnte, kommen ihr jetzt zugute. Gleichzeitig musste sie sich mehrfach Kritik an ihrer Amtsführung gefallen lassen, etwa wegen der Anheuerung teurer externer Berater oder wegen der Kostenexplosion bei der Sanierung der „Gorch Fock“.

In ihrer Rede am Dienstagmorgen im EU-Parlament trat sie für die Verteidigung der europäischen Werte, Klimaneutralität, einen Neubeginn in der Migrationspolitik und ein soziales Europa ein. Europa sei das „Kostbarste“, was wir haben. „Es lebe Europa“, beendete ihre Rede.

Von Christoph Scholz (KNA)