Ein Sondergutachten wirft den früheren Kölner Kardinälen Joseph Höffner und Joachim Meisner einen falschen Umgang mit einem Missbrauchsfall vor.
Berlin/Essen/Köln – Ein Sondergutachten wirft den früheren Kölner Kardinälen Joseph Höffner und Joachim Meisner einen falschen Umgang mit einem Missbrauchsfall vor. Höffner habe Pfarrer A. trotz Verurteilung wegen „fortgesetzter Unzucht mit Kindern“ wieder in der Seelsorge eingesetzt, zitiert die „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ (Donnerstag) aus einer unveröffentlichten Untersuchung der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW).
Höffner habe kirchenrechtliches Verfahren unterlassen
Ein kirchenrechtliches Verfahren gegen den erneut straffällig gewordenen Geistlichen habe Höffner „pflichtwidrig unterlassen“, heißt es weiter. Auch sein Nachfolger Meisner habe um die Taten des Pfarrers gewusst, aber „pflichtwidrig sowohl auf jegliche Sanktionierung (…) kirchlicherseits als auch auf Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Kinder und Jugendlicher verzichtet“. Beide Kardinäle sind bereits vor Jahren gestorben.
Der Fall des inzwischen 87-jährigen Priesters A. hatte schon Ende 2019 für heftige Kritik gesorgt. Trotz der beiden Verurteilungen war er in den Erzbistümern Köln und Münster sowie ab 2002 als Ruhestandsgeistlicher im Bistum Essen tätig. Die Diözesen haben Untersuchungen zu dem Fall in Auftrag gegeben.
Gutachten bescheinigt Verantwortlichen des Ruhrbistums deutliche Fehler
Ein am Mittwoch veröffentlichtes Gutachten der Kölner Kanzlei Axis im Auftrag des Ruhrbistums bescheinigt den Verantwortlichen deutliche Fehler. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck sagte der Wochenzeitung: „Ich habe Schuld auf mich geladen.“ Als er Anfang 2010 kurz nach seinem Amtsantritt in Essen von dem Fall erfahren habe, habe er sich nicht die Personalakte kommen lassen. „Sonst hätte ich die Dimension des Falls vielleicht gesehen“, so der Ruhrbischof.
Der Priester des Erzbistums Köln war seit 1960 in Köln und dann in Essen-Kettwig tätig, bevor er 1972 wegen „fortgesetzter Unzucht mit Kindern und Abhängigen“ zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Danach war er ab 1973 im Bistum Münster eingesetzt, bis er 1988 wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen eine Bewährungsstrafe erhielt.
Als Ruhestandsgeistlicher in Bochum-Wattenscheid
1989 kehrte A. als Altenheimseelsorger nach Köln zurück. Als Ruhestandsgeistlicher war er dann von 2002 bis 2015 in Bochum-Wattenscheid im Bistum Essen. 2019 verbot ihm der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki priesterliche Dienste. Inzwischen hat die Glaubenskongregation im Vatikan einen kirchlichen Strafprozess gegen Geistlichen begonnen, der heute in einem Pflegeheim lebt.
Laut Overbeck sind bislang keine weiteren Taten von A. aus seiner Zeit im Bistum Essen bekannt. Er habe am Anfang seiner Zeit als Bischof in Essen seine Verantwortung „nicht richtig wahrgenommen“. Einen Rücktritt deswegen schloss er aber aus. „Verantwortung zu übernehmen heißt für mich lernen. Das halte ich in diesem Fall für angemessen.“ Allerdings könne es andere Fälle geben, so Overbeck, „da müsste ich vielleicht andere Zeichen setzen“. Der Bischof verteidigte, dass das Gutachten über den Umgang des Bistums Essen keine Namen von Verantwortlichen nennen wird. „Die Verantwortlichen der letzten Jahre können alle kennen“, sagte der Bischof.
Mitglieder wollen sich aus dem Beirat von Betroffenen zurückziehen
Unterdessen berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag), dass sich weitere Mitglieder aus dem Beirat von Betroffenen sexualisierter Gewalt beim Erzbistum Köln aus Protest zurückziehen wollten. Damit verblieben noch fünf Mitglieder. Zunächst hatte sich Woelki die Zustimmung des Gremiums eingeholt, ein Gutachten von Westpfahl Spilker Wastl (WSW) über den Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Missbrauchsfällen wegen angeblicher methodischer Mängel nicht zu veröffentlichen. Später kritisierten Mitglieder des Rates, sie seien durch die kurzfristig anberaumte Beratung instrumentalisiert worden.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstag) berichtet von einem Brief Woelkis vom Frühjahr 2019 an den früheren Personalchef der Kölner Erzdiözese und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Dieser habe sich 2010 und 2011 in einem Missbrauchsfall „in mehrerer Hinsicht rechtswidrig“ verhalten, heiße es in dem Schreiben. Vor allem die damals schon verpflichtende Information der vatikanischen Glaubenskongregation sei unterblieben. Wegen laufender Untersuchungen werde das Erzbistum darüber nicht öffentlich sprechen, so Woelki damals.
Kritik von Anwaltskammer
Die Kölner Anwaltskammer kritisierte, dass die Kanzlei sich nicht gegen die Vorwürfe verteidigen könne, weil das Erzbistum sie nicht von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht entbinde. Zu prüfen wäre, ob die vom Erzbistum veröffentlichte Kritik der Strafrechtsprofessoren Matthias Jahn und Franz Streng sowie des neuen Gutachters Björn Gercke die Sozietät „in ihren eigenen Rechten verletzt“.