Nach anderen Diözesen veröffentlichte auch das Erzbistum Berlin ein Gutachten über sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Seelsorger.
Berlin/Bonn – Vor elf Jahren haben drei ehemalige Schüler des Berliner Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg ihren Schulleiter, Pater Klaus Mertes, über Fälle von Missbrauch informiert. Damit begann die bis heute anhaltende Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche in Deutschland. Nach anderen Diözesen veröffentlichte das Erzbistum Berlin am Freitag ein Gutachten über sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Seelsorger in seinem Bereich. Wichtige Stationen im Umgang der Kirche mit dem Skandal.
Januar 2010:
Der Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin, Pater Klaus Mertes, macht den Missbrauchsskandal an seiner Schule bekannt. Er löst damit eine Welle von Enthüllungen zu Fällen in der Kirche und in anderen Institutionen aus.
Februar 2010:
Die Bischöfe bitten auf ihrer Vollversammlung in Freiburg um Entschuldigung wegen der Missbrauchsfälle. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann wird Sonderbeauftragter für das Thema. Eine Hotline für Opfer wird eingerichtet.
März 2010:
Die Kirche beteiligt sich am Runden Tisch, der von der Bundesregierung eingerichtet wird.
August 2010:
Die Bischöfe verschärfen ihre „Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch“. Glaubhaft verdächtigte Geistliche müssen nun umgehend vom Dienst suspendiert werden.
September 2010:
Die Bischöfe stellen ein Präventionskonzept vor. Gegründet wird auch ein „Präventionsfonds“ für besonders innovative kirchliche Projekte. Die Bischofskonferenz legt am Runden Tisch ein Konzept zur Entschädigung der Opfer sexuellen Missbrauchs vor. Dazu gehört die Zahlung eines Geldbetrags, der als „finanzielle Anerkennung“ des zugefügten Leids gelten soll.
Juli 2011:
Die Bischöfe kündigen zwei Forschungsprojekte zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche an.
Dezember 2012:
Die Ergebnisse des ersten Forschungsprojekts werden vorgestellt. Der Forensiker Norbert Leygraf kommt darin zu dem Schluss, dass nur wenige katholische Priester, die Minderjährige missbraucht haben, im klinischen Sinne pädophil seien.
August 2013:
Die Bischofskonferenz veröffentlicht abermals verschärfte Richtlinien. Kleriker, die Schutzbefohlene missbraucht haben, dürfen nun nicht mehr in den Seelsorgedienst zurückkehren, wenn „dieser Dienst eine Gefahr für Minderjährige oder erwachsene Schutzbefohlene darstellt oder ein Ärgernis hervorruft“.
März 2014:
Die Bischöfe beauftragen einen Forschungsverbund um den Mannheimer Psychiater Harald Dreßing mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Sie soll quantitative Daten zur Häufigkeit und zum Umgang mit sexuellen Handlungen an Minderjährigen durch Geistliche erheben. Darüber hinaus sollen Täterstrategien, Opfererleben und das Verhalten der Verantwortlichen untersucht werden.
September 2018:
Bei der Vollversammlung der Bischöfe stellen die Wissenschaftler die Ergebnisse der Missbrauchsstudie („MHG-Studie“) vor. Demnach haben sie 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe von mindestens 1.670 Priestern und Ordensleuten in den Akten von 1946 bis 2014 gefunden. Die Bischöfe beschließen einen Sieben-Punkte-Plan, in dem sie sich verpflichten, Betroffene des Missbrauchs und externe unabhängige Fachleute stärker in die Aufarbeitung einzubeziehen. Sie wollen auch klären, wer über die Täter hinaus Verantwortung getragen hat, etwa für Vertuschung oder die Versetzung von Tätern.
März 2019:
Nach intensivem Ringen beschließen die deutschen Bischöfe einen „verbindlichen Synodalen Weg“, um nach dem Missbrauchsskandal Vertrauen zurückzugewinnen und systemische Ursachen des Missbrauchs zu überwinden.
September 2019:
Die Bischöfe beschließen, die Zahlungen zur Anerkennung des erlittenen Leids an die Betroffenen neu zu regeln und deutlich auszuweiten. Über die Höhe der Entschädigung und die Frage, ob das Geld aus Kirchensteuern bezahlt werden soll, wird gestritten. Eine von der Bischofskonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe hatte Zahlungen von bis zu 400.000 Euro ins Gespräch gebracht.
Dezember 2019:
Die Bischofskonferenz veröffentlicht erneut verschärfte Leitlinien zum Umgang mit Missbrauchsfällen und kündigt an, einen Betroffenenbeirat einzurichten.
Dezember 2019:
Papst Franziskus schafft das „Päpstliche Geheimnis“ bei der Verfolgung von Missbrauchsfällen ab. Eine Instruktion löst die bislang geltende strengste Verschwiegenheitspflicht bei kirchlichen Strafrechtsverfahren wegen Sexualdelikten ab, etwa sexuelle Handlungen mit Minderjährigen, Besitz und Verbreitung von kinderpornografischem Material sowie Vertuschung.
März 2020:
Die Bischöfe fassen bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Mainz einen Grundsatzbeschluss für ein neues Konzept zur Wiedergutmachung. Opfer können künftig mit deutlich höheren Schmerzensgeldzahlungen als bisher rechnen. Demnach orientiert sich die Kirche an der geltenden zivilrechtlichen Schmerzensgeld-Tabelle und entsprechenden Gerichtsurteilen. Dies bedeutet für sexuellen Missbrauch derzeit Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall.
April 2020:
Der Ständige Rat der Bischofskonferenz verabschiedet eine Erklärung zur unabhängigen Aufarbeitung von Missbrauch.
Juni 2020:
Danach unterzeichnen Bischof Ackermann und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, eine Vereinbarung zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch. Demnach soll die Aufarbeitung in den katholischen Bistümern transparent und nach einheitlichen Kriterien erfolgen. Auch sollen unabhängige Experten an dem Prozess teilnehmen. Diese muss nun von den Bistümern umgesetzt werden.
26. August 2020:
Die katholischen Ordensgemeinschaften in Deutschland stellen die Ergebnisse einer eigenen Mitgliederbefragung zum Thema Missbrauch vor. Darin ist von Missbrauchsvorwürfen gegen mindestens 654 katholische Ordensleute in Deutschland die Rede. Zu den Betroffenen gehören wenigstens 1.412 Kinder, Jugendliche oder Schutzbefohlene. Die Umfrage ist allerdings nicht mit der Studie der Bischofskonferenz vergleichbar.
12. November 2020:
Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl veröffentlicht ein Missbrauchsgutachten für das Bistum Aachen. Es bescheinigt unter anderem Altbischof Heinrich Mussinghoff (80) und seinem früheren Generalvikar Manfred von Holtum (76) eine „unverdiente Milde“ gegenüber des Missbrauchs verdächtigten und verurteilten Geistlichen.
24. November 2020:
Der Ständige Rat der Bischofskonferenz beschließt eine neue Ordnung für Missbrauchszahlungen, die zum 1. Januar 2021 in Kraft treten soll. Missbrauchsopfer können dann anstelle der bisher üblichen 5.000 Euro Summen bis zu 50.000 Euro erhalten. Zusätzlich sind wie bisher weitere Hilfen für Beratung oder Therapien möglich.
Herbst und Winter 2020:
Mehrere Bistümer stellen eigene Untersuchungen über Missbrauch vor. Heftige Debatten entzünden sich dabei am Vorgehen im Erzbistum Köln. Dort lässt Kardinal Rainer Maria Woelki ein Gutachten wegen „methodischer Mängel“ nicht veröffentlichen und gibt stattdessen eine neue Untersuchung in Auftrag, die im März vorgelegt werden soll. Ihm selbst wird vorgeworfen, in einem Fall den Vatikan nicht informiert zu haben. Woelki bittet den Vatikan um Prüfung des Falls, ebenso macht es der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, dem Versäumnisse während seiner Zeit als Personalchef und Generalvikar in Köln vorgeworfen werden.
2. Dezember 2020:
Ein Forschungsteam um den Historiker Thomas Großbölting veröffentlicht erste Ergebnisse einer Missbrauchsstudie über das Bistum Münster. Sie attestiert den verstorbenen Bischöfen Joseph Höffner, Heinrich Tenhumberg und Reinhard Lettmann „massives Leitungs- und Kontrollversagen“.
29. Dezember 2020:
Die Bischofskonferenz stellt eine Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistung (UKA) vor, die ab Januar über die Höhe der Zahlungen an Betroffene entscheiden soll. Die sieben Expertinnen und Experten aus den Bereichen Recht, Medizin und Psychologie sollen weisungsunabhängig handeln und sind keine Mitarbeiter der katholischen Kirche.
29. Januar 2021:
Das Erzbistum Berlin stellt ein bei einer Anwaltskanzlei in Auftrag gegebenes Gutachten über „Sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige“ seit 1946 in seinem Bereich vor. Es bemängelt „zahlreiche Missstände“ im Umgang mit Missbrauch auch im Erzbistum Berlin.
kna