Erzbistum Berlin stellt Gutachten zum Umgang mit Missbrauch vor

Das Erzbistum Berlin eine Missbrauchsstudie vorgestellt. Die persönliche Mitverantwortung von Spitzenvertretern bleibt aber vorerst im Dunkeln.

Bei der Aufarbeitung von Missbrauch durch Seelsorger gehen die katholischen Diözesen in Deutschland durchaus unterschiedliche Wege. So veröffentlichte das Bistum Aachen im November ein Gutachten, das auch die Mitverantwortung seiner früheren Bischöfe nicht verschleierte, und erhielt dafür viel Zustimmung. Der Streit um das Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln, das die Bistumsleitung wegen “methodischer Mängel” nicht veröffentlicht, scheint dagegen zur unendlichen Geschichte zu werden.

Erzbistum schlägt Mittelweg ein

Nun hat auch das Erzbistum Berlin am Freitag ein solches Gutachten vorgestellt – und einen Mittelweg eingeschlagen. Zwar sind zentrale Erkenntnisse und Empfehlungen der beauftragten Anwaltskanzlei “Redeker Sellner Dahs” aus ihrer 669-Seiten-Studie auf der Internetseite des Erzbistums abrufbar, der Löwenanteil von 443 Seiten über die Details der 59 ausgewerteten Fälle aber nicht, die bis 1946 zurückreichen. Dies geschehe “wegen des Persönlichkeitsschutzes von Beschuldigten und Betroffenen”, verteidigte Generalvikar Manfred Kollig die Entscheidung. Zugleich bleibt aber auch vieles über die Mitverantwortung der Berliner (Erz-)Bischöfe, Generalvikare und weiteren Personalverantwortlichen im Geheimen.

Aufgeschoben soll aber nicht aufgehoben sein, wie Erzbischof Heiner Koch ankündigte. Er gab die Gründung einer Kommission aus Vertretern der Priester und der diözesanen Räte bekannt, die auch diese unveröffentlichten einzelnen Missbrauchsfälle bewerten sollen. Im Falle nachgewiesener Vertuschung werde dies für die Verantwortlichen auch “persönliche Konsequenzen” haben, versicherte Koch. Kollig ergänzte, dass auch unterschiedliche Bewertungen von Kommission und Bistumsleitung publik werden sollten.

Innerkirchlicher Sprengstoff

Genug innerkirchlichen Sprengstoff hat das Gutachten jedenfalls. Anwalt Peter-Andreas Brand und Anwältin Sabine Wildfeuer hielten sich nicht zurück mit scharfer Kritik am Umgang mit dem Missbrauch durch Priester, Diakone und männliche Ordensangehörigen, die auch im Erzbistum Berlin vertuscht worden seien. Spätestens seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals am Berliner Jesuitengymnasium Canisius-Kolleg im Jahr 2010 gebe es jedoch Bemühungen, stärker gegen Missbrauch vorzugehen, gestehen beide der Kirchenleitung zu.

Nach ihrer Bilanz stammen die meisten ihrer untersuchten Fälle aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Es sei allerdings auch heute noch mit bisher unbekannten Taten zu rechnen, da Betroffene sich oft erst Jahrzehnte später melden, betonten sie zugleich. Nach Angaben Brands leitete das Erzbistum bei 15 der 61 Beschuldigten kirchenrechtliche Voruntersuchungen oder Strafverfahren ein, die in sieben Fällen zu kirchenrechtlichen Strafen führten.

Bekanntschaft zwischen Personalverantwortlichen und Beschuldigten

In einem Fall wurde der Beschuldigte aus dem Priesterstand entlassen. Bei der Aufklärung von Missbrauch wurden nach Erkenntnissen der Gutachter kirchenrechtliche Vorschriften oft jedoch “bewusst oder fahrlässig” missachtet. Auch von den 21 eingeleiteten staatlichen Ermittlungsverfahren endeten indes nur elf mit Urteilen, die anderen wurden wegen Verjährung, Tod des Angeklagten oder Mangel an Beweisen eingestellt.

Es waren aber nicht nur die Bekanntschaft zwischen Personalverantwortlichen und Beschuldigten, die Tätern zugute kam. Behindert hätten die Prävention und Aufklärung von Missbrauch auch eine “unordentliche und uneinheitliche Aktenführung” und mangelnde Kommunikation unter den Personalverantwortlichen. Unter anderem auf diesen Gebieten sehen die Anwälte weiter Reformbedarf.

Anwendung des Kirchenrechts habe im Erzbistum keine Rolle gespielt

Bei der Präsentation des Gutachtens wurden auch “Interessenskonflikte und Glaubwürdigkeitsprobleme” von Brand infrage gestellt. Im Untersuchungszeitraum der Studie gehörte der Rechtsanwalt vor zehn Jahren bereits einem ständigen Beraterstab des Erzbistums zu Missbrauchsfragen an. In dem Gremium hätten Fragen wie die Anwendung des Kirchenrechts bei solchen Fällen aber “keine Rolle gespielt”, betonte der Rechtsanwalt.

Das vom Erzbistum Berlin in Auftrag gegebene Gutachten über Missbrauch durch Seelsorger hat ein unterschiedliches Echo ausgelöst. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, begrüßte es am Freitag als wichtige Studie auf diözesaner Ebene. Die bundesweite Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch kritisierte dagegen, dass konkrete Informationen über die untersuchten Fälle nicht veröffentlicht worden seien.

Eckiger Tisch übt Kritik

Rörig erklärte, er könne aus juristischer Sicht nachvollziehen, dass der Teil, der sich mit den konkreten Missbrauchsfällen befasse, aus Gründen des Opferschutzes zunächst nicht veröffentlicht wurde. Auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte sei bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt zu beachten. Er finde es aber wichtig, dass dieser Teil auch der geplanten Aufarbeitungskommission zur Verfügung gestellt werde. So seien die Anforderungen an Transparenz gewährleistet.

Der Geschäftsführer des Eckigen Tisches, Matthias Katsch, bemängelte dagegen, dass Verantwortliche nicht identifiziert und Täter nicht benannt worden seien. Auch sei mit den Opfern nicht gesprochen worden. Auf diese Weise werde verhindert, dass Betroffene voneinander erführen und sich austauschen und vernetzen könnten, betonte Katsch. Auch die Öffentlichkeit könne sich kein Bild von den empörenden Vorgängen machen. “Dieses Vorgehen führt das Bemühen um Aufklärung und Aufarbeitung ad absurdum”, so Katsch. Die beauftragten Anwälte dienten “ihren Auftraggebern, nicht der Öffentlichkeit und schon gar nicht den Betroffenen”.

Mangelnder Wille zur Aufklärung

Mit dem Gutachten hatte das Erzbistum die Anwaltskanzlei “Redeker Sellner Dahs” beauftragt. Der Anwalt Peter-Andreas Brand und die Anwältin Sabine Wildfeuer bemängelten, in dem untersuchten Zeitraum seit 1946 hätten viele “Missstände” wie mangelnder Wille zur Aufklärung dazu beigetragen, sexuellen Missbrauch von Minderjährigen zu begünstigen und dessen Bestrafung zu verhindern. Spätestens seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals am Berliner Jesuitengymnasium Canisius-Kolleg im Jahr 2010 gebe es jedoch Bemühungen, stärker gegen Missbrauch vorzugehen.

Für das Gutachten werteten die Anwälte die Personalakten von 61 beschuldigten Priestern, Diakonen und männlichen Ordensangehörigen aus. Dies entspricht ähnlich wie im bundesweiten Vergleich einem Anteil von gut vier Prozent aller Geistlichen, denen sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird.

Von Gregor Krumpholz (KNA)