Die Kirchen in Deutschland sind nach den Worten von Annette Kurschus während der Corona-Pandemie nicht in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt worden.
Berlin – Die Kirchen in Deutschland sind nach den Worten von Annette Kurschus während der Corona-Pandemie nicht in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt worden. „Niemand hat uns etwas verboten“, sagte die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Dienstagabend in Berlin. Allerdings hätten die Kirchen teils selbst auf den Vollzug der Religionsfreiheit verzichtet.
Dilemma zwischen den Aufträgen
„Wir waren verunsichert, in dem Dilemma zwischen den Aufträgen, einerseits in liebevoller Art und Weise für unseren Nächsten da zu sein – und andererseits die Botschaft von der Liebe Gottes den Menschen nahezubringen.“ Man habe sicher nicht immer so frei und unbefangen gehandelt, wie man das sonst als Christenmensch tue.
Die von Kurschus geleitete westfälische Kirche hatte bundesweit mit der kompletten Absage aller Weihnachtsgottesdienste für Aufsehen gesorgt. Auf Nachfrage sagte Kurschus hierzu: „Ich würde im Rückblick niemals sagen, dass das die richtige Entscheidung war.“
Kurschus: Pragmatische Entscheidung
Es sei vielmehr eine pragmatische, beherzte Entscheidung gewesen. Man habe den Presbyterien, also den Gemeindeleitungen ersparen wollen, dass sie über die Gottesdienste vor Ort entscheiden mussten. „Im Nachhinein würde ich sagen, ich würde das auch noch mal so machen, ohne zu meinen, dass das richtig war.“ Im Übrigen habe man immer respektiert, das sich andere Kirchen anders verhalten hätten.
Kurschus äußerte sich während einer Online-Veranstaltung „Treffpunkt Gendarmenmarkt“ des Berliner Büros der EKD. Während der Veranstaltung diskutierten Kurschus und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau auch über die geplanten staatlichen und kirchlichen Gedenkfeiern für die Opfer der Corona-Pandemie am kommenden Sonntag (18. April). Diese Feiern seien „ein Zeichen, dass wir sehr ernsthaft betrachten, was da in vielen Familien passiert ist, dass wir es anerkennen und würdigen“, sagte Pau. „Ohne zu vergessen, dass wir leider noch immer in einer schwierigen Situation sind, können wir vielleicht manchen Menschen etwas mehr Kraft auf diesem Weg geben.“
Kurschus: Pandemie hat Tod und Sterben weiter privatisiert
Kurschus sprach von einem Innehalten „angesichts der eigenen Verletzlichkeit, der eigenen Versehrtheit und einem Verständigen der Gesellschaft über sich selbst.“ Der Staat könne nicht trösten. „Auch die Kirche kann nicht trösten, aber sie gibt den Trost weiter, den sie empfängt“, sagte Kurschus. „Sie hält das Oberlicht offen: Wir gedenken im Angesicht Gottes und sind in der Gewissheit bei diesem Gedenken, dass keiner dieser Menschen, die da ohne Familie und Angehörige verstorben sind, von Gott vergessen oder aus Gottes Händen gefallen ist.“ Dies sei eine Gewissheit, die Menschen berühren und halten könne, selbst wenn sie selbst in dieser Gewissheit nicht groß geworden seien.
Die Corona-Pandemie hat nach Ansicht der westfälischen Präses dazu geführt, dass Tod und Sterben noch weiter aus dem Leben der Menschen verdrängt worden sind. „Da hat sich in dramatischer Weise etwas entwickelt, was schon vorher eine Tendenz war: Die Toten alleine zu lassen und das Sterben auszulagern“, sagte sie.
Die Trauer sei erzwungenermaßen immer weiter privatisiert worden. „Familien blieben unter sich, Beerdigungsrituale wurden immer stärker individualisiert“, sagte Kurschus. „Wir singen keine Choräle mehr, stattdessen kommt das Lieblingsmusikstück vom Band und persönliche Andenken werden wie Devotionalien ins Grab geworfen.“ Persönlich sehe sie diese Entwicklungen mit einem gewissen Bedenken: „Trauer ist nicht für das stille Kämmerlein“, sagte Kurschus. „Sie braucht auch die Resonanz derer, die den Verstorbenen gekannt haben und eigene Erinnerungen beisteuern.“