SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist vor einigen Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Im Falle seiner Wahl wäre er der erste konfessionslose Regierungschef in Deutschland.
Berlin – SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist vor einigen Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Im Falle seiner Wahl wäre er der erste konfessionslose Regierungschef in Deutschland. Im Interview erklärt er, wie ihn die Kirche dennoch geprägt hat. Zudem verteidigt er den erweiterten Familienbegriff seiner Partei und spricht sich für eine liberalere Haltung bei der Suizidbeihilfe aus.
Herr Minister Scholz, Sie sind in der evangelischen Kirche getauft, später aber aus der Kirche ausgetreten. Welche Bedeutung haben die Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden aus Ihrer Sicht?
Scholz: Deutschland ist von der christlichen Kultur geprägt. Das hat sich bei uns sogar in der Sprache niedergeschlagen. Etwa in der deutschen Luther-Bibel und den Bildern und Redewendungen, die wir dort vermittelt bekommen – zum Beispiel „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ oder „Hochmut kommt vor dem Fall“. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir uns auch künftig auf das große Engagement vieler Christen und Christinnen stützen können, sei es in der Gemeindearbeit oder in der sozialen Arbeit in Kitas oder Krankenhäusern. Als Politiker trete ich dafür ein, dass diese wichtige Arbeit erhalten bleibt und dass wir die christliche Prägung unserer Kultur wertschätzen.
Sie haben gesagt, dass auch Sie christlich geprägt sind. Was bedeutet das konkret?
Scholz: Die Kirche hat mir ein Wertegerüst mitgegeben, das mir wichtig ist und nach dem ich auch meine Entscheidungen ausrichte. Ob man die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens lieber Solidarität nennt oder christliche Nächstenliebe, macht für mich keinen Unterschied. Beruflich hat mich sicherlich das christliche Arbeitsethos beeinflusst: Meine Arbeit möchte ich möglichst gut machen und damit auch dem Gemeinwesen dienen.
Gibt es für Sie eine Kirche, die Ihnen etwas bedeutet?
Scholz: Ich bin in der Christianskirche in Hamburg-Altona getauft worden. Das war meinen Eltern wichtig, obwohl ich ja in Osnabrück geboren wurde und wir damals in Osnabrück lebten. Wir sind dann aber bald zurück nach Hamburg gezogen. Und auch als Kind war ich mit meinen Eltern in der Christianskirche. Daran erinnere ich mich gerne.
Sie sind Arbeitsrechtler und waren in der rot-günen Bundesregierung Arbeitsminister. Der Staat hat den Kirchen in Deutschland das Recht eingeräumt, ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen, den sogenannten Dritten Weg. Wie stehen Sie dazu?
Scholz: Der Dritte Weg stützt sich auf die Verfassungstradition in Deutschland. Dessen ungeachtet gelten natürlich auch für die Kirchen die gleichen Spielregeln wie für alle anderen; etwa im Arbeitsvertragsrecht und im Arbeitsschutz. Und es braucht faire Löhne.
Sie spielen auf den Flächentarifvertrag in der Altenpflege an…
Scholz: In der zu Ende gehenden Legislaturperiode ist es zu meinem Bedauern nicht gelungen, einen Flächentarifvertrag allgemeinverbindlich zu machen. Es fehlte an ausreichender Unterstützung. Nur wenn Caritas und Diakonie mitwirken, können die weder durch den Dritten Weg noch unmittelbar durch den Tarifvertrag geschützten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch von dem Tarifvertrag profitieren. Ich hoffe sehr, dass das Vorhaben in einem weiteren Anlauf gelingt. Das nötige Gesetz haben wir ja nun schon.
In der Pandemie haben neben den alten Menschen besonders Kinder und Jugendliche an den fehlenden sozialen Kontakten gelitten. Reichen die bisherigen Aufholprogramme für Kinder gerade aus benachteiligten Familien?
Scholz: Dass Kinder und Jugendliche sich so lange nicht treffen konnten, war wirklich bedrückend. Das war eine richtig schwere Zeit. Viele Kinder und Jugendliche leiden nach wie vor unter den Folgen der Corona-Lockdowns. Wir müssen jetzt viel Kraft darauf verwenden, dass die Folgen der Corona-Krise abgemildert werden. Dazu gehören neben dem Aufholpaket für Kinder und Jugendliche wieder feste Strukturen und feste Ansprechpartner. Es ist wichtig, dass das Training im Sportverein wieder stattfindet und die Kurse an der Musikschule. Nachdem jetzt so viele Menschen geimpft sind, müssen wir uns klar versprechen, dass es keine neuen Schul- und Kitaschließungen geben wird. Und die zweite Botschaft heißt natürlich: Es müssen sich noch viel mehr Erwachsene impfen lassen, auch um unsere Kinder zu schützen.
Linke, FDP, Grüne und die SPD treten in ihrem Wahlprogramm für einen erweiterten Familienbegriff ein. Die SPD will neben der Ehe das Rechtsinstitut einer Verantwortungsgemeinschaft einführen. Hat die klassische Ehe damit ausgedient?
Scholz: Nein, überhaupt nicht. Ich bin seit vielen Jahren verheiratet und das sehr gerne. Die traditionelle Ehe und Familie wird auch in Zukunft wichtig sein. Sie wird nicht dadurch geschwächt, dass nicht alle diese Weise des Zusammenlebens wählen.
Der künftige Bundestag muss die Suizidbeihilfe neu regeln. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe leitete bei seiner Entscheidung ein sehr weitgehendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Wie stehen Sie dazu?
Scholz: Wir dürfen die Tür nicht zuschlagen, die das Bundesverfassungsgericht für die eigene freie Entscheidung am Lebensende geöffnet hat. Der Bundestag sollte den Weg, den das Verfassungsgericht eröffnet hat, so ausgestalten, dass er für die Menschen, die selbstbestimmt sterben wollen, auch funktioniert. Das ist das eine – das andere ist, dass wir die Hospizarbeit und die Palliativmedizin stärken. Ich habe selbst viele Hospize besucht und mit Sterbenden gesprochen. Von der Arbeit und von der Gemeinschaft in den Hospizen bin ich sehr beeindruckt.