Die Pfarrei St. Urbanus in Gelsenkirchen-Buer bemüht sich um die Rückgabe einer mehr als 400 Jahre alten Bronzeglocke. Das hat der Kirchenvorstand jetzt beschlossen. Auslöser dafür war eine Anfrage von Neues Ruhrwort.
Gelsenkirchen – Die Pfarrei St. Urbanus in Gelsenkirchen-Buer bemüht sich um die Rückgabe einer historischen Bronzeglocke. Das hat der Kirchenvorstand jetzt beschlossen. Auslöser dafür war eine Anfrage von Neues Ruhrwort.
Schätzungsweise 100.000 Kirchenglocken zogen die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg als Metallreserve für Rüstungszwecke ein. Ein Großteil wurde tatsächlich auch eingeschmolzen, nur knapp 16.000 blieben erhalten – die meisten davon kamen zwar zurück in ihre Heimatgemeinden, rund 1.300 aber landeten auf dem Hamburger „Glockenfriedhof“. Eine dieser Glocken besitzt die Pfarrei St. Urbanus in Gelsenkirchen-Buer. Sie möchte sie jetzt ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben, wie der Kirchenvorstand in seiner jüngsten Sitzung im Januar beschlossen hat. Es handelt sich um eine mehr als 400 Jahre alte Bronzeglocke, die aus dem heute polnischen Radoszowy stammt.
Die britische Militärverwaltung wollte die Glocken aus politischen Gründen mit Blick auf den Ost-West-Konflikt nicht nach Osteuropa rückführen. Und so wurde das von den Nationalsozialisten geraubte Geläut ab 1950 schließlich Kirchengemeinden in der Bundesrepublik leihweise überlassen. Über die Jahre und Jahrzehnte geriet ihre Herkunft in den Gemeinden allmählich in Vergessenheit. In nicht wenigen Gemeinden, in denen viele Heimatvertriebene lebten, wurde der Besitz aber auch als eine Art der Wiedergutmachung betrachtet – an eine Rückführung war unter solchen politischen Vorzeichen im Kalten Krieg nicht zu denken.
Manche Glocken blieben unbeschadet und hängen deshalb seit vielen Jahrzehnten in deutschen Kirchen. Nun aber finden einige den Weg zurück in ihre alte Heimat. Das gesellschaftliche Verständnis über den Umgang mit Raubkunst hat sich grundlegend gewandelt. Neues Ruhrwort (46/21) berichtete im vorigen November über eine Initiave Gebhard Fürsts, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, zur Rückführung von Glocken in ihre Heimatgemeinden.
1954 von Glockenfriedhof nach Gelsenkirchen-Buer gekommen
Neues-Ruhrwort-Leser Johannes Kläsener erinnerte sich daran, dass er vor fast 30 Jahren auf die historische Glocke in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt gestoßen war. Die Pfarrei hat die Kirche nach Schließung des einzigen deutschen Servitenklosters im Januar 2021 aufgegeben. Als Wandlungsglocke befindet sich die Glocke derzeit in der Kirche St. Michael. Im Juli 1994 fertigte Kläseners Firma einen Ständer für eine Bronzeglocke, die im Chorraum der St.-Mariä-Himmelfahrt-Kirche ihren Platz als Wandlungsglocke gefunden hatte. „Bei der Besichtigung und beim Vermessen der Glocke weckten mit Lackfarbe aufgetragene Ziffern und Zahlen mein Interesse“, erinnert er sich. „An der Krone stand die Zahl 53. Innen ist zu lesen: 25/14/189 C und sehr unleserlich der Name Radoschau.“
Kläsener begann, weiter zu recherchieren. Schnell war für ihn klar, dass die Beschriftung im Zweiten Weltkrieg aufgetragen worden war, als die Glocke zum Einschmelzen vom Turm der Radoschauer Kirche geholt wurde: Mit dem Buchstaben „C“ wurden Glocken bezeichnet, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Schönheit nicht sofort eingeschmolzen wurden und somit teilweise überlebten.
Glocken der Kategorie „A“ wanderten sofort in den Schmelzofen. Nach deren Aufbrauch folgten die der Kategorien „B“ und „C“. Die Glocke trägt die Inschrift „Gott ist mein Trost der mich erlöst“ sowie die Vermerke 1616 und Adam Schraub. Sie wurde demnach 1616 von Adam Schraub gegossen. Auch in dem einschlägigen Standwerk „Glockenkunde“ von Karl Walter, das 1913 im Regensburger Verlag F. Pustet erschien, findet die Glocke unter den Werken des Glockengießers Erwähnung Laut Kläseners Recherchen wurde die Glocke 1941 /42 aus einer Kirche in Radoschau, südlich von Beuthen in Oberschlesien, geraubt, um eingeschmolzen zu werden. Heute heißt der Ort, der von 1936 bis 1945 den Namen Drosselschlag trug, Radoszowy und gehört mit rund 200 Einwohnern zur Woidwodschaft Opole.
Propst Pottbächer schreibt Brief an polnischen Amtsbruder
Laut der Chronik der Gemeinde St. Maria-Himmelfahrt ertönte „die kleine Glocke vom Glockenfriedhof in Hamburg“ am 24. Dezember 1954 „zum ersten Mal um 12 Uhr offiziell vom 32 Meter hohen Glockenturm“. Schon drei Jahre später aber, im September 1957 wurden indes die vier neuen Glocken der Kirche geweiht. Die historische Glocke bekam ihre neue Aufgabe als Wandlungsglocke im Chorraum. Als Herkunftsort gibt die Kirchenchronik übrigens das oberschlesische Zabrze, das von 1915 bis 1945 Hindenburg O.S. hieß, an. Die ungefähre Herkunft der Glocke war in der Gemeinde also durchaus bekannt, dann aber in Vergessenheit geraten. Er habe sich 1995 auch um Kontakt nach Polen bemüht, doch sei die Angelegenheit im Sande verlaufen – und auch bei ihm etwas in Vergessenheit geraten, berichtet Kläsener.
„Ich habe jetzt zum allerersten Mal von dieser Glocke gehört. Ich hatte sie bisher nicht wahrgenommen. Und ehrlich gesagt hätte ich auch nicht vermutet, dass in einer 1954 errichten Kirche eine so alte Glocke steht“, sagte Propst Markus Pottbäcker, auf Nachfrage von Neues Ruhrwort. Er ist seit September 2014 Pfarrer von St. Urbanus ist. Für ihn sei nach Bekanntwerden eine Rückführung selbstverständlich. „Im Kirchenvorstand bin ich mit der Idee sofort auf offen Ohren gestoßen.“ Den Transport, da ist sich Pottbäcker sicher, könne die Pfarrei aus eigener Kraft stemmen „Da brauchen wir nur drei starke Männer und einen Lkw, so ist die Glocke ja auch von St. Mariä Himmelfahrt nach Hassel umgezogen“. In dieser Woche hat Pottbäcker einen Brief an seinen Amtsbruder in Radoszowy auf den Weg gebracht. „Ich hoffe, dass wir bald mehr wissen.“