Am Sonntagabend tritt Franziskus in einer bekannten italienischen Talkshow auf. Damit schreibt er ein Stück päpstlicher Mediengeschichte – und manifestiert seine eigene Bekehrung in Sachen Medien.
Rom – Gefühlt halb Italien saß am vergangenen Donnerstagabend vor dem Fernseher und widmete sich dem jährlichen nationalen TV-Spektakel, dem „Festival della Canzone Italiana“ in Sanremo. Mitten in eine der zahlreichen Werbepausen, mit denen der öffentlich-rechtliche Sender Rai 1 das Millionen-Spektakel finanziert, platzte eine Sensation. Erstmals wird ein Papst sich in die Untiefen des Fernseh-Infotainments begeben: Franziskus am Sonntagabend in der Show „Che tempo che fa“ (Wie die Zeiten so sind) auf Rai 3. (Um genau zu sein, tat Johannes Paul II. bereits Ähnliches, als er am 13. Oktober 1998 in einem Live-Telefonat mit dem TV-Star-Moderator Bruno Vespa zu hören war).
Zwar wird – so viel ist bisher bekannt – Franziskus am Sonntagabend sich nicht in die RAI-Studios nach Mailand begeben. Ob das Kirchenoberhaupt von seiner vatikanischen Residenz Santa Marta aus live dazu geschaltet wird, oder ob das Gespräch mit Moderator Fabio Fazio vorher aufgezeichnet wurde, ist noch nicht klar. Die Sache wurde von langer Hand und äußerst diskret vorbereitet. Wie schon das TV-Interview von Franziskus im Januar 2021 mit dem privaten Konkurrenzsender TG 5.
Rundfunkbeobachter stellen ohnehin fest, dass die gute alte Rai seit einiger Zeit deutlich religions- und vor allem Papst-freundlicher geworden ist. Die Zahl religiöser Inhalte, Kommentare und Filme hat auf den öffentlich-rechtlichen Kanälen zugenommen. Allerdings ist der einzige, der über päpstliche Medienauftritte entscheidet, Franziskus selbst. Gewährung oder Nichtgewährung eines Interviews – wie, wann und mit welchen Fragen – entscheidet allein er. Kein Privatsekretär oder Kurialer ist dazwischengeschaltet.
Dabei erreichen den Papst aus Argentinien Hunderte von Anfragen aus aller Welt. Journalisten, Autoren, Showmoderatoren suchen krampfhaft Möglichkeiten, den Papst zu erreichen. Hinzu kommt Dutzende Journalisten, Essayisten, Schriftsteller, religiöse Führer, Politiker, Wissenschaftler und andere, die für ihr Buch ein schriftliches Interview oder zumindest ein Vorwort von Franziskus erbitten. „Es gibt mal wieder ein päpstliches Vorwort“ ist unter Vatikan-Journalisten inzwischen ein Running Gag. Warum und wie der Papst zu- oder absagt, bleibt seine persönliche und private Entscheidung. Zumal es heißt, er schaue so gut wie kein Fernsehen.
Jorge Bergoglio war schon immer sein eigener PR-Manager. Auch als Erzbischof von Buenos Aires. Damals pflegte er zur Presse aber eine gänzlich andere Haltung. Keine Interviews, gegenüber Journalisten war er schüchtern und abweisend. Von Journalisten wie Mitbrüdern bei den Jesuiten wurde er „der Einsiedler“ genannt, weil er sich beharrlich weigerte, sich auf die Dynamik der Medien einzulassen. Nach fast neun Jahren auf dem Stuhl Petri ist Bergoglio das komplette Gegenteil – auch wenn er weiterhin stur bleibt und sich von medialer Hektik keinesfalls drängen lässt.
Aktuell ist Franziskus der medienwirksamste Papst in der Geschichte der Kirche. Die Liste seiner schriftlichen, Audio- und Fernsehinterviews ist atemberaubend. Hinzu kommen die Bücher, die er geschrieben hat, oft im Frage-und-Antwort-Format. Dann gibt es noch die Vorworte zu Büchern, die sich mit ganz unterschiedlichen Themen befassen.
Höhepunkte dazwischen sind Dokumentationsfilme wie „Mann seines Wortes“ von Wim Wenders oder die vierteilige Netflix-Serie „Stories of a Generation“. Der Vatikan-Beobachter Luis Badilla spricht gar davon, Franziskus habe seine eigene „Verlagsindustrie“ geschaffen. Für die setzt Bergoglio allerdings auch auf Vertraute wie den Jesuiten und Chefredakteur der „Civilta Cattolica“, Antonio Spadaro, oder den Gefängnisseelsorger und TV-Autor Marco Pozza. Auch der vor wenigen Jahren geschasste Leiter der vatikanischen Kommunikationsbehörde und Filmexperte Dario Vigano hat nach wie vor Franziskus‘ Ohr.
Inzwischen, spätestens seit den Lockdown-Wochen der Pandemie, hat der Papst das Fernsehen entdeckt. Franziskus ist ein großartiger Kommunikator, auch wenn ihn Probleme mit der italienischen Sprache in manch heikles Fettnäpfchen geführt haben. Mitunter hatte die Kurie einiges glattzubügeln. Dabei half ihr meist die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Medien bergogliofreundlich ist.
Wie lange der päpstliche Auftritt am Sonntagabend dauert, ist bisher nicht bekannt. Auch nicht, wie viele Fragen gestellt werden und zu welchen Themen. Sicher ist: Franziskus hat die Palette der Mittel, wie der Bischof von Rom sein Hirten- und Lehramt ausübt, um etliche Facetten erweitert. Insofern schreibt er am Sonntagabend ein kleines Stück Papstgeschichte. Einen Haken hat die päpstliche Premiere: Franziskus muss in Rai 3 gegen das Finale von Sanremo auf Rai 1 antreten. Und Italiens Liederfestival lockt mindestens so viele Zuschauer vor den Schirm wie ein wichtiges Fußballspiel.