Kirchen werden im Ukrainekrieg zum Machtfaktor

Der Krieg in der Ukraine ist auch religiös aufgeladen. Allen Seiten geht es dabei um den Schutz der Gläubigen – vor Gewalt oder „vor Homosexualität“. Während der Papst Vermittler schickt, bangt ein Bischof um sein Leben.
Kirchen werden im Ukrainekrieg zum Machtfaktor Der Krieg in der Ukraine ist auch religiös aufgeladen. Allen Seiten geht es dabei um den Schutz der Gläubigen - vor Gewalt oder "vor Homosexualität". Während der Papst Vermittler schickt, bangt ein Bischof um sein Leben.

Der Russischer Patriarch Kyrill –Foto: © Belish | Dreamstime.com

 Als ehemalige Boxweltmeister genießen die Brüder Vitali und Wladimir Klitschko eine weltweite Prominenz und Wertschätzung. Diese dürften zuletzt noch weiter gestiegen sein, seitdem immer wieder Bilder auftauchen, wie die beiden, der ältere Vitali inzwischen als Bürgermeister von Kiew, im Krieg gegen Russland ihre ukrainische Heimat verteidigen.

Dementsprechend medienwirksam war auch der Appell, den die Klitschko-Brüder am Wochenende an religiöse Oberhäupter in der ganzen Welt gerichtet haben: „Was im Herzen Europas passiert, berührt die Herzen aller auf dem Planeten, die Gerechtigkeit und das Gute lieben, unabhängig von ihrer Herkunft und Religion“, so die Botschaft. Die geistlichen Oberhäupter der Welt, müssten Stellung zu beziehen und „stolz die Verantwortung ihrer Religionen für den Frieden zu übernehmen“.

Namentlich wandten sich die Brüder unter anderem an Papst Franziskus, aber auch an den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. in Moskau. „Ich lade Sie ein, nach Kiew zu kommen, um ihre Solidarität und ihr Mitgefühl mit dem ukrainischen Volk zu zeigen“, so Vitali Klitschko. „Machen wir Kiew zu einer Hauptstadt der Menschlichkeit, der Spiritualität und des Friedens.“

Papst Franziskus leistete dieser Einladung nun zumindest indirekt Folge. Am Sonntag gab das Kirchenoberhaupt bekannt, zwei Kardinäle aus seinem engsten Umfeld in die Ukraine beordert zu haben. Mit den Kurienkardinälen Konrad Krajewski und Michael Czerny gehen zwei vatikanische Topkräfte in das Kriegsland, „um dem Volk zu dienen und helfen“, wie Franziskus sagte, aber auch, um sich als mögliche Vermittler anzubieten. Der Pole Krajewski ist Sozialbeauftragter des Papstes, Czerny leitet derzeit die Entwicklungsbehörde.

Bevor er sich bis Freitag zu den traditionellen Fasten-Exerzitien kurzzeitig aus der Öffentlichkeit zurückziehen wird, erneuerte Papst Franziskus auch sein Flehen um Frieden. „Ströme von Blut und Tränen fließen in der Ukraine. Es handelt sich nicht nur um eine Militäroperation, sondern um einen Krieg, der Tod, Zerstörung und Elend mit sich bringt“, klagte das Kirchenoberhaupt.

Frieden und ein Ende des Blutvergießen wünscht sich auch sein Moskauer Konterpart Kyrill I. Dennoch liegen die Voraussetzungen beim russisch-orthodoxen Kirchenoberhaupt signifikant anders. Schon seit längerem wird dem Patriarchen eine allzu große Nähe zu Präsident Wladimir Putin vorgeworfen. Tatsächlich sind die Bindungen zwischen dem Kreml und der Kirche unter Putins Regierung sehr eng geworden: Die Kirche profitiert von der Unterstützung durch die Regierung, diese kann durch die Kirche Einfluss auf die konservativen orthodoxen Kreise ausüben.

Dass Kyrill eine andere Position als der Präsident vertritt, wäre deswegen wohl nicht zu erwarten gewesen. Dennoch dürfte der Legitimationsgrund, den der Patriarch am Sonntag für den Einmarsch anbrachte, viele überrascht haben. Laut Kyrill geht es auch darum, die Gläubigen im Donbass, dieser Region in der Ostukraine, die seit 2014 durch von Moskau unterstützte russische Separatisten kontrolliert wird, zu schützen – vor offen ausgelebter Homosexualität.

Wörtlich nennt Kyrill „Gay-Pride-Paraden“, die er den Gläubigen von nicht näher definierten „Mächten“ aufgezwungen sieht als Angriff auf die christlichen Werte. Hier entstehe ein Druck, um in „den Club“ aufgenommen zu werden. Doch handle es sich um schwere Sünde und einen „Verstoß gegen die Gesetze Gottes“, betonte Kyrill: „Und wenn wir Verstöße gegen dieses Gesetz sehen, werden wir niemals diejenigen dulden, die dieses Gesetz zerstören“.

Derartige Legitimationen sind indes nichts Neues. Schon mehrfach in den vergangenen Wochen hatten Akteure aus Kirche, Politik und Gesellschaft, darunter auch die deutschen Bischöfe, den Patriarchen für seine Versuche einer religiösen Rechtfertigung des Krieges kritisiert. Zudem forderten sie ihn auf, sich deutlich gegen die militärische Aggression Russlands in der Ukraine zu wenden. Diesem kam Kyrill bislang nicht nach; es wird dazu wohl auch nicht kommen.

Papst Franziskus stand mit solchen Forderungen jedoch bislang zurück, was nicht unbemerkt geblieben ist. Er schone Kyrill, statt Klartext zu reden, warf nun der Salzburger katholische Theologe Hans-Joachim Sander Franziskus vor. Zwar stelle sich der Papst natürlich gegen den Krieg, so Sander in einem Beitrag für das Portal katholisch.de. „Aber zugleich will er die potenzielle Einladung nach Moskau durch eben diesen Patriarchen noch nicht in den Wind schreiben und lässt dessen symbolische Jacht weiter im Vatikan ankern.“

Der Moskauer Patriarch, so Sander weiter, fabuliere von der „Einheit der Rus, als ob ein Mythos, wird er nur kirchlich bedient, über einen brutalen Angriffskrieg und die Vergewaltigung eines ganzen Volkes hinwegtäuschen könnte.“

Tatsächlich sind die innerkirchlichen Spannungen in der orthodoxen Kirche in der Ukraine enorm: Dort hatte sich 2018 die Orthodoxe Kirche der Ukraine als autokephale (eigenständige) Teilkirche vom Moskauer Patriarchat losgesagt. Seitdem existiert sie neben der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die weiterhin Kyrill untersteht. Die Anerkennung der neuen eigenständigen Kirche durch den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., das zeremonielle Oberhaupt der Weltorthodoxie, sorgte denn auch für reichlich Verstimmung in Moskau.

Es stehen sich in diesem Krieg also auch zwei Kirchen gegenüber, deren Selbstverständnis eng an den nationalen Rahmen gebunden ist. Aussagen des Oberhauptes der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius, wonach es seit dem Beginn der russischen Invasion bereits drei versuchte Mordanschläge auf ihn gegeben haben soll, scheinen deshalb durchaus plausibel. Dem griechischen Staatssender ERT sagte der Geistliche, er sei „Ziel Nummer fünf auf einer Liste der Russen mit zu tötenden Personen“ – darüber hätten ihn andere ausländische Geheimdienste informiert.

Johannes Senk (KNA)