Erst die Corona-Pandemie, jetzt der Krieg in der Ukraine: Angesichts zahlreicher Krisen müssen sich viele Menschen einschränken. Das stellt eine auf Konsum ausgerichtete Gesellschaft vor Herausforderungen.
Bonn – Die Fastenzeit ist vorbei, und mancher ist froh darüber. Auch wenn viele, ob gläubig oder eher kirchenfern, diese sieben Wochen gern einmal für den Verzicht etwa auf Alkohol oder Schokolade nutzen. Fernab dieses Brauchtums würden wohl viele unterschreiben, was der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies kürzlich dem „Spiegel“ sagte: „Wir leben in einer Konsumkultur, nicht in einer Verzichtskultur.“ Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie es aussehen kann, wenn plötzlich nicht allein der kurzfristige und freiwillige Verzicht auf Luxusgüter gefragt ist. Das hatte bei allem Leid auch positive Nebeneffekte: Corona habe gezeigt, „wie wenig die Leistungsgesellschaft und die Maximierung von Freiheit zu einem lebenswerten Leben führen – sondern wie sehr es sich im sozialen Miteinander vollzieht“, sagt die Philosophin Barbara Schmitz. Auch sei die Verletzbarkeit des Menschen stärker ins Bewusstsein gerückt.
Was also, wenn Verzicht künftig dauerhaft gefragt ist?
Zugleich scheint die Gesellschaft auseinandergedriftet zu sein – auch angesichts ungleicher Voraussetzungen, was etwa technische Möglichkeiten für Home Office und Home Schooling, das eigene Krankheitsrisiko oder Verlusterfahrungen durch die Pandemie angeht. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine fallen manche unschönen Verhaltensweisen erneut auf, führen beispielsweise Hamsterkäufe zu leeren Speiseöl-Regalen.
Was also, wenn Verzicht künftig dauerhaft gefragt ist? Wenn „Frieren gegen Putin“ keine Parole bleibt, sondern zur Normalität wird? Wenn weitere Rohstoffe und Lebensmittel knapp werden, die Preise anziehen und Verteilungskämpfe auch hierzulande mehr als einen Umweg zum nächsten Supermarkt nach sich ziehen? Der Moment für Verzicht könnte nach Worten des Philosophen Phillip Hübl günstig sein. Allen Menschen sei es in den vergangenen zwei Jahren etwas schlechter gegangen, sagte er dem Spiegel – und wem es schlecht gehe, der sei eher bereit, sich einzuschränken. Im Alltag falle es dagegen vielen Menschen schwer, auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Sie seien eher dazu bereit, wenn es „gute und unmittelbar verständliche Gründe“ dafür gebe – eben wie den Krieg.
„Selbst autofreie Sonntage sind zu viel, es darf bloß nichts kosten.“
Der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani fordert unterdessen mehr Einsatz. Die Politik schrecke jedoch vor „realen Einschränkungen“ zurück, sagte er dem Magazin: „Selbst autofreie Sonntage sind zu viel, es darf bloß nichts kosten.“ Dabei entstünden ständig Kosten, die allerdings „verleugnet oder verschoben“ würden, kritisiert Kermani. So sei es im Klimaschutz, mit Schulden und auch während der Pandemie.
Die evangelische Bischöfin Petra Bahr zeigt sich ebenfalls skeptisch. Während in den Medien derzeit die Geschichten jener erzählt würden, die in der Ukraine die Freiheit verteidigten, „darf hier bei uns möglichst gar kein Opfer gefordert werden“, schrieb sie kürzlich in Christ & Welt. Schon das Wort „Verzicht“ löse Unbehagen aus. Wenn jedoch schon das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes „als Zumutung und Zeichen einer unbotmäßigen Unfreiheit verstanden wird, mag man sich nicht ausmalen, was wäre, wenn die künftigen Opfer, die zu bringen sind, öffentlich und klar benannt würden“.
Wird der Klimawandel als akute Krise wahr- und ernstgenommen?
Beim Stichwort „künftige Opfer“ liegt der Gedanke an den Klimawandel nah. Patrick Roberts ist Anthropologe und Archäologe; er hat im vergangenen Jahr das Buch „Die Wurzeln des Menschen“ veröffentlicht. Obwohl so viele Wissenschaftler sich einig darüber seien, dass der Klimawandel „unseren Planeten für immer verändern und uns alle betreffen wird“, werde er nur selten als akute Krise wahr- und ernstgenommen. „Entscheidungen, die wir im Supermarkt oder im Möbelgeschäft treffen, haben Auswirkungen in anderen Weltregionen – doch diese Auswirkungen sehen wir nicht.“
Zugleich habe die Flutkatastrophe im vergangenen Sommer einigen Menschen vor Augen geführt, dass auch Europa und Deutschland nicht unverwundbar seien, sagt Roberts. Der Krieg in der Ukraine mache nun erneut deutlich, wie groß die wechselseitigen globalen Abhängigkeiten seien: „Das betrifft die Ernährung, Materialien für verschiedene Produkte oder die Energie. Und es wird in den kommenden Jahren noch offenkundiger werden, wenn sich der Klimawandel stärker bemerkbar macht.“
Forscher: Kindern ein Gespür für ihre Umgebung vermitteln
Hoffnung setzt der Forscher auf junge Menschen, die sich für Klima und Natur einsetzen. Auch im Bildungsbereich sieht Roberts Bewegung. „Es ist eine wichtige Aufgabe, Kindern ein Gespür für ihre Umgebung zu vermitteln – und auch für globale Zusammenhänge, etwa für die Frage, welche Produkte aus welchem Land kommen.“ Wer dies früh verstehe, für den sei Nachhaltigkeit automatisch ein wichtiges Kriterium bei Einkäufen – und auch bei politischen Wahlen.
Zudem gelte es, indigene Völker zu unterstützen und ihr Wissen zu erhalten. „In Europa und Nordamerika ist viel Wissen verloren gegangen, und häufig auch die Verbindung zur Natur“, sagt Roberts. Forschungen belegten indes, dass Menschen über Jahrhunderte mit der Natur gelebt, sie durchaus auch genutzt und verändert hätten – aber eben ohne sie zu zerstören.