Missbrauchsstudie belegt Vertuschung von Münsteraner Bischöfen

Ehemalige und heute aktive Bischöfe haben nach einer Studie im Bistum Münster große Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen begangen. Seit 1945 hätten sie beschuldigte und verurteilte Geistliche immer wieder in der Seelsorge eingesetzt und damit weitere Taten ermöglicht, heißt es in der am Montag von der Universität Münster vorgestellten Untersuchung.

Ehemalige und heute aktive Bischöfe haben nach einer Studie im Bistum Münster große Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen begangen. Seit 1945 hätten sie beschuldigte und verurteilte Geistliche immer wieder in der Seelsorge eingesetzt und damit weitere Taten ermöglicht, heißt es in der am Montag von der Universität Münster vorgestellten Untersuchung.

Bischof Felix Genn(Foto: pbm)

Ehemalige und heute aktive Bischöfe haben nach einer Studie im Bistum Münster große Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen begangen. Seit 1945 hätten sie beschuldigte und verurteilte Geistliche immer wieder in der Seelsorge eingesetzt und damit weitere Taten ermöglicht, heißt es in der am Montag von der Universität Münster vorgestellten Untersuchung.

Zu den Verantwortlichen gehört der vielen noch bekannte Bischof Reinhard Lettmann (Amtszeit 1980-2008). Dem seit 2009 amtierenden Oberhirten Felix Genn (72) bescheinigen die Autoren um die Historiker Thomas Großbölting und Klaus Große Kracht zwar, den Umgang mit Missbrauchsfällen verändert zu haben. In seinen ersten Jahren sei der Bischof Tätern kirchenrechtlich aber nicht immer mit der gebotenen Strenge begegnet. Ein Vorwurf in einem Fall trifft auch den heutigen Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der früher Weihbischof in Münster war. Er habe 2009 als Übergangsleiter des Bistums den Fall eines beschuldigten Mitarbeiters nicht der Missbrauchskommission vorgelegt. Die Vorwürfe gegen den heute noch lebenden Geistlichen aus dem Jahr 1997 seien damit nicht vollständig aufgearbeitet.

Die Untersuchung zählt 610 Betroffene und 196 Beschuldigte zwischen 1945 und 2020. Die Zahl der Fälle liege um ein Drittel höher als in der 2018 vorgestellten MHG-Studie der Bischofskonferenz, da Zeitraum und Methoden variierten und sich weitere Betroffene gemeldet hätten. Missbrauchsvorwürfe betreffen 4,1 Prozent aller Priester zwischen 1945 und 2020. 40 Prozent der Beschuldigten seien Mehrfach- und 5 Prozent Serientäter. Neun von zehn Beschuldigten hätten keine strafrechtlichen Konsequenzen erfahren.

Teils seien Täter in andere Bistümer oder ins Ausland versetzt worden, so die Forschenden. Die Flucht in andere Staaten sei durch kirchliche Netzwerke wie Caritas international gelungen. Der frühere Münsteraner Bischof Joseph Höffner habe beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) Kontakte ins Ausland geknüpft. „Die katholische Kirche ist Täterorganisation“, sagte Großbölting. Auch Laien hätten einen Priester als „heiligen Mann“ betrachtet und zur Vertuschung beigetragen. Auf inzwischen umgesetzte Maßnahmen zur Prävention und Aufklärung müsse nun auch eine Debatte über die Machtstrukturen folgen.

Das Bistum Münster hatte die am 1. Oktober 2019 begonnene Untersuchung in Auftrag gegeben. Die Forschenden übergaben die Studie nach der Medienpräsentation Genn, der zur Wahrung der Unabhängigkeit zuvor keine Ergebnisse erfahren sollte. Die Studie sei nicht das Ende der Aufklärung, sagte der Bischof. Am Freitag will er sich vor Journalisten zu Konsequenzen äußern. Er wolle persönliche und institutionelle Verantwortung übernehmen: „Ich war und bin Teil des kirchlichen Systems, das sexuellen Missbrauch möglich gemacht hat.“

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) lobten den historischen Ansatz der Studie. Dieser ermögliche es, den Fokus auf spezifische kirchensystemische Faktoren zu richten, welche die Taten begünstigt und ihre Aufdeckung verhindert hätten, so Claus. Sie unterstützte die Forderung der Autoren nach einer starken staatlichen Beteiligung an der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Diese Arbeit könnte bei ihrem Amt gesetzlich verankert werden.

Nach den Worten von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zeigt die Studie, dass es bei Aufklärung und Aufarbeitung noch großen Handlungsbedarf gebe. Die Aufarbeitung bereits verjährter Taten bleibe nicht allein den Kirchen überlassen. „Die Bundesregierung ist bereits wiederholt auf die katholische Kirche zugegangen und hat ihre Unterstützung angeboten.“

Der Sprecher der Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, forderte, die Aufarbeitung der sexuellen Gewalt der Kirche aus der Hand zu nehmen. Es könne nicht sein, dass die „Täterorganisation“ freiwillig Gutachten in Auftrag gebe. Eine Betroffene, die Sozialpädagogin Sara Wiese aus Recklinghausen, sagte dem Portal kirche-und-leben.de, die Studie bilde eine Grundlage dafür, „dass Aufklärung bestenfalls jetzt erst beginnen kann“.

Von Andreas Otto und Annika Schmitz (KNA)
  • Mit Blick auf die Veröffentlichung richtete das Bistum eine Telefon-Hotline für Missbrauchsbetroffene ein. Auch Menschen, die Angaben zu Fällen sexualisierter Gewalt machen wollen, können sich ab Montag für eine Woche unter (02 51) 49 56 25 2 melden.