Experten: Missbrauchsaufarbeitung darf nicht nach Studien enden

Der Historiker Thomas Großbölting hat die katholische Kirche davor gewarnt, mit der Erstellung von Missbrauchsstudien das Thema Aufarbeitung als abgeschlossen anzusehen.
Leipzig – Der Historiker Thomas Großbölting hat die katholische Kirche davor gewarnt, mit der Erstellung von Missbrauchsstudien das Thema Aufarbeitung als abgeschlossen anzusehen. "Die wissenschaftlichen Studien stellen ein bestimmtes Wissen zur Verfügung, aber dann müssen die Verantwortlichen weitergehen und nicht denken, es sei etwas abgeschlossen", sagte der Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) am Dienstagabend auf einem Podium in Leipzig. Er kritisierte eine fehlende Veränderungsbereitschaft bei Bischöfen. Großbölting leitete die unlängst erschienene Studie zu Missbrauch im Bistum Münster.Studie zu Missbrauch im Bistum Münster.

Thomas Großbölting. (Foto: Uni Münster)

Der Historiker Thomas Großbölting hat die katholische Kirche davor gewarnt, mit der Erstellung von Missbrauchsstudien das Thema Aufarbeitung als abgeschlossen anzusehen. „Die wissenschaftlichen Studien stellen ein bestimmtes Wissen zur Verfügung, aber dann müssen die Verantwortlichen weitergehen und nicht denken, es sei etwas abgeschlossen“, sagte der Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) am Dienstagabend auf einem Podium in Leipzig. Er kritisierte eine fehlende Veränderungsbereitschaft bei Bischöfen. Großbölting leitete die unlängst erschienene Studie zu Missbrauch im Bistum Münster.Studie zu Missbrauch im Bistum Münster.

Manuela Dudeck, Professorin für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Ulm, pflichtete ihm bei. Schwierig werde es, wenn Aufarbeitung als „Feigenblatt“ benutzt werde. Das beobachte sie bei kirchlichen Verantwortlichen. Wichtig sei der Umgang mit den Betroffenen, für die Aufarbeitung und wie sie erfolge „nicht immer ein Segen“ sei. Dudeck leitet ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche in Mecklenburg von 1945 bis 1989. Der Bericht soll im Februar veröffentlicht werden.

Nach Einschätzung des irischen Journalisten Derek Scally, seit 2000 Deutschland-Korrespondent der „Irish Times“, tut man sich mit der Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland vergleichsweise schwer: „Man versucht bei allem, das Rad neu zu erfinden.“ Er sei immer wieder erstaunt, wie wenige Priester wegen Missbrauchs in Deutschland vor Gericht gestellt würden. Zugleich betonte er: „Bischöfe, die jetzt immer noch sagen: ‚Wir müssen noch lernen, wir brauchen noch eine Studie‘ – das ist Zynismus.“

2021 erschien Scallys Buch „The Best Catholics in the World“ (Die besten Katholiken in der Welt), in dem er sich mit der Stellung der von zahlreichen Skandalen erschütterten Kirche in Irland auseinandersetzt. Scally mutmaßte: „Wenn das alles mal vorbei ist, werden wir vielleicht sehen: Es waren nicht die kranken Priester, die missbraucht haben, die die Kirche zerstört haben, sondern die Bischöfe, die über so viele Jahre vertuscht haben.“ Auch all jene in Gemeinden und Gesellschaft, die wissend geschwiegen hätten, trügen eine große Mitverantwortung für das Geschehene.

In der DDR hatten laut Dudeck Kirche und Staat ein spezielles Interesse, Missbrauch zu vertuschen: „Die Kirche in der Diaspora ‚durfte‘ keine Täter haben, und wenn es welche in den eigenen Reihen gab, wollte man sie nicht dem sozialistischen Staat ausliefern.“ Umgekehrt habe die DDR-Führung das Ideal eines sozialistischen Staates nicht durch Missbrauch beschädigt sehen wollen. Ihre Studien zeigten aber auch: „Schon zu DDR-Zeiten wurden viele Missbrauchtäter von Westbistümern in den Osten verschoben.“

kna