Historikerin Stollberg-Rilinger kritisiert Kreuzentfernung und deren Skandalisierung

In der Debatte um das zeitweilige Entfernen eines Kreuzes aus dem Friedenssaal von Münster für das Treffen der G7-Außenminister warnt die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger vor politisch motivierten Skandalisierungsversuchen. Zugleich kritisierte sie die Entscheidung in der Sache.
In der Debatte um das zeitweilige Entfernen eines Kreuzes aus dem Friedenssaal von Münster für das Treffen der G7-Außenminister warnt die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger vor politisch motivierten Skandalisierungsversuchen. Zugleich kritisierte sie im Gespräch mit dem Neuen Ruhrwort die Entscheidung in der Sache: „Wer an einem historischen Ort tagt und ausdrücklich auf dessen historische Dimension Wert legt, sollte das Setting auch historisch ernst nehmen. Dann ist es natürlich gar keine gute Idee, so ein Kreuz abzuhängen“, sagte Stollberg-Rilinger, die Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin, auf Anfrage.

Barbara Stollberg-Rilinger ist Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin. –Foto: Maurice Weiss © Wissenschaftskolleg

In der Debatte um das zeitweilige Entfernen eines Kreuzes aus dem Friedenssaal von Münster für das Treffen der G7-Außenminister warnt die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger vor politisch motivierten Skandalisierungsversuchen. Zugleich kritisierte sie im Gespräch mit dem Neuen Ruhrwort die Entscheidung in der Sache: „Wer an einem historischen Ort tagt und ausdrücklich auf dessen historische Dimension Wert legt, sollte das Setting auch historisch ernst nehmen. Dann ist es natürlich gar keine gute Idee, so ein Kreuz abzuhängen“, sagte Stollberg-Rilinger, die Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin, auf Anfrage.

Entfernen des historischen Ratskreuzes hatte Kritik hervorgerufen

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) selbst hatte am Freitag die Entscheidung bedauert, das Kreuz für die Zeit des Treffens zu entfernen. Dies sei ausschließlich eine organisatorische, keine politische Maßnahme gewesen. Sie selbst habe davon erst am Morgen erfahren. Auch wenn der Historische Friedenssaal im Rathaus als Konferenzraum umgebaut werden musste, so hätte das Kreuz dorthin gehört. Ein Sprecher des Außenministeriums hatte zuvor die Maßnahme protokollarisch begründet. Zur Umgestaltung des Saals hätten auch anderes Mobiliar, eine andere Beleuchtung und ein Teppich gehört. Explizit betonte er, dass Baerbock nicht mit dem Vorgang befasst gewesen sei. Nach Angaben der Stadt Münster bat das Außenamt um Entfernung des aus dem Jahr 1540 stammenden Kreuzes, da Menschen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen am Treffen teilnähmen.

Das Entfernen des historischen Ratskreuzes hatte Kritik hervorgerufen, unter anderem auch vom Bistum Münster und der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus. „Dieser Saal ist der Ort, wo vor 374 Jahren ein Religionsfriede ausgehandelt worden ist. Und wenn dort ausgerechnet das religiöse Symbol entfernt wird, dann zeigt man, dass man offensichtlich nicht verstanden hat, wofür dieser Saal, wofür dieser westfälische Friede steht“, sagte Antonius Hamers, der Leiter des Katholischen Büros NRW. Besonders scharfe Kritik kam von Seiten der Unionsparteien.

Historikerin Stollberg-Rilinger rät zu einem genauen Blick auf die Fakten

„Wir sollten die offizielle Auskunft der Außenministerin akzeptieren, dass dies keinen politischen Hintergrund hatte“, sagte unterdessen Stollberg-Rilinger im Gespräch mit dem Neuen Ruhrwort. Nach ihrer Einschätzung habe „offenbar ein Mitglied des Organisationsteams einen ganz blöden Fehler gemacht“. Dazu habe sich die Ministerin bekannt. „Daran darf man sich jetzt nicht festbeißen.“ Zugleich riet Stollberg-Rilinger, die von 1997 bis 2021 den Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster innehatte, zu einem genauen Blick auf die Fakten.

„Erstens war der Westfälische Friede kein Religionsfrieden, und er ist auch nicht in diesem Saal ausgehandelt worden. In diesem Raum wurde nur ein Eid geschworen“, sagte die Historikerin, die einräumte, dass der Friedensschluss ein „sehr komplizierter Sachverhalt mit viel Akteuren“ gewesen sei. So wurden zwischen dem 15. Mai und dem 24. Oktober 1648 in Münster und Osnabrück gleich eine ganze Reihe von Friedensverträgen geschlossen, die den Dreißigjährigen Krieg im Heiligen Römischen Reich und den Achtzigjährigen Unabhängigkeitskrieg der Niederlande beendeten.

Der Westfälische Friede war kein Religionsfrieden

Der Westfälische Friede habe deshalb funktioniert, weil er gerade kein Religionsfrieden, sondern ein politischer Friedensvertrag war. „Man hat die Frage der Glaubenswahrheit ausgeklammert und damit einen stabilen Frieden im Reich hinbekommen, weil keine Seite mehr ihren Wahrheitsanspruch durchgesetzt hat. Das war ein zivilisatorischer Fortschritt und hoch modern“, sagte Stollberg-Rilinger, die zu den bedeutendsten Historikern der Frühneuzeitgeschichte in Deutschland zählt. „In diesem Zusammenhang ist es übrigens gut zu wissen, dass gerade der Papst gegen den Westfälischen Frieden protestiert und ihn nicht anerkannt hat.“

In der aktuellen Debatte um das G7-Außenministertreffen habe sie den Eindruck gewonnen, dass es manchen Akteuren „gar nicht um die Geschichte oder um Religion geht“, erklärte Stollberg-Rilinger. „Den Skandalisierern geht es offenbar nicht um historische Korrektheit, sondern darum, die Außenministerin zu beschädigen. Das finde ich zumindest bemerkenswert.“  Dabei lasse sich gerade am Beispiel des Westfälischen Friedensschlusses in der Tat aus der Geschichte lernen, betonte Stollberg-Rilinger. „Wenn man sich nicht mehr auf gemeinsame formale Verfahren der Konfliktaustragung verständigen kann, droht Bürgerkrieg.“ Insofern sei die zunehmende Polarisierung und Lagerbildung in Gesellschaften, wie sie derzeit zum Beispiel in Brasilien und in den USA zu beobachten ist, bedenklich. „Das Einhalten formaler Verfahren ist das A und O für eine funktionierende Gesellschaft“, sagte die Wissenschaftlerin, die intensiv zu symbolisch-rituellen Formen der Kommunikation geforscht hat.

Boris Spernol