Seit Mittwoch läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln gegen Kardinal Woelki – es ist nun das zweite. Im Zentrum steht die Frage: Wusste der Erzbischof von Missbrauchshinweisen gegen zwei Priester?
Köln – Moralisch steht der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki seit mehr als zwei Jahren in der Kritik. Dass er Ende Oktober 2020 die zunächst versprochene Veröffentlichung eines ersten Missbrauchsgutachtens absagte, gilt vielen als Ausgangspunkt der Vertrauenskrise im Erzbistum Köln. Nun gerät der Erzbischof auch rechtlich immer stärker unter Druck. Am Mittwoch teilte die Staatsanwaltschaft Köln der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit, ein zweites Ermittlungsverfahren gegen den Kardinal aufgenommen zu haben.
Wie im ersten Verfahren geht es um den Verdacht, der Erzbischof habe in einem Rechtsstreit mit der „Bild“ eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. In der Sache sagte vergangene Woche die langjährige Sekretärin des früheren Kölner Kardinals Joachim Meisner vor dem Landgericht Köln aus. Sie berichtete von einem Telefonat, das sie um das Jahr 2010 mit Woelki geführt habe. Der damalige Weihbischof habe mit ihr über einen Priester sprechen wollen, mit dem sie befreundet war.
Woelki räumt ein, „Gerüchte gekannt“ zu haben
Dem Mann wird Missbrauch vorgeworfen. Jahre nach dem Telefongespräch beförderte ihn Woelki. Die „Bild“ machte aus dem Vorgang im vergangenen Jahr eine Schlagzeile: Der Kardinal habe zum Zeitpunkt der Beförderung im Jahr 2017 belastende Inhalte aus der Personalakte des Geistlichen sowie eine Polizeiwarnung gekannt.
Den Vorwurf, er habe Missbrauch vertuscht, hat Kardinal Rainer Maria Woelki wiederholt zurückgewiesen. Juristische Gutachten sprechen ihn diesbezüglich auch frei. Dennoch schüren jetzt die Aussagen zweier Kirchenmitarbeiterinnen Zweifel, ob Woelki mit Missbrauchshinweisen tatsächlich angemessen umging.
Die Frauen, deren Aussagen Woelki nun unter Druck setzen, waren einmal Assistentin beziehungsweise Sekretärin hoher kirchlicher Funktionsträger. Zu Wort meldeten sich die beiden rund um den Rechtsstreit zwischen dem Kardinal und der „Bild“-Zeitung. Vor dem Landgericht Köln will Woelki Darstellungen des Boulevardblatts untersagen lassen, wonach er Missbrauchstäter geschont habe.
So schrieb „Bild“ unter anderem, dass er einen Priester befördert haben soll, obwohl er aus dessen Personalakte „viele belastende Berichte“ sowie „eine deutliche Warnung der Polizei“ gekannt habe. Der Erzbischof erklärte dagegen in einer eidesstattlichen Versicherung, ihm sei die Personalakte des Pfarrers zum Zeitpunkt der Beförderung im Jahr 2017 nicht bekannt gewesen.
Aussagen haben neue Details ans Licht gebracht
In dem Dokument, das der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt, räumt Woelki ein, dass er von einem sexuellen Kontakt des Priesters zu einem Prostituierten gehört und auch „weitere Gerüchte“ gekannt habe. Er habe jedoch auf Fürsprecher des Geistlichen vertraut. Die Personalakte habe er sich vor der Beförderung nicht vorlegen lassen, weil diese üblicherweise in der Personalabteilung bewertet werde.
In dem Schriftstück erklärt Woelki also offiziell, dass er zwar Gerüchte gegen einen mutmaßlichen Missbrauchstäter kannte, diesen aber dennoch beförderte. Statt selbst einen Blick in die Personalakte zu werfen, um den Anschuldigungen nachzugehen, informierte er sich bei kirchlichen Funktionsträgern, die sich hinter ihren Mitbruder stellten. Ein Beispiel für Klerikalismus und Männerbünde? Solche Phänomene haben Rechtsgutachter, Historiker und Soziologen in Aufarbeitungsuntersuchungen wiederholt kritisiert.
Eine Pflichtverletzung durch Woelki sehen vom Erzbistum beauftragte Gutachter allerdings nicht; weder die Juristen, die eine erste Studie – das zurückgehaltene WSW-Gutachten – erstellten, noch die Autoren des im März 2021 veröffentlichten so genannten Gercke-Reports.
Was den Fall des beförderten Priesters angeht, haben nun Aussagen einer Zeugin vor Gericht neue Details ans Licht gebracht. Und die Staatsanwaltschaft Köln veranlasst, ein zweites Mal Ermittlungen gegen Kardinal Rainer Maria Woelkiaufzunehmen. Das teilte Sprecher Ulf Willuhn der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Mittwoch mit.
Zeugin informierte Woelki aus erster Hand
Bei der Zeugin handelt sich um die langjährige Sekretärin des früheren Kölner Erzbischofs, Kardinal Joachim Meisner (Amtszeit 1989-2014). Im Rechtsstreit zwischen Woelki und der „Bild“ vernahm die Frau, die mit dem Priester befreundet war. Sie erzählte von einem Telefongespräch, um das der damalige Weihbischof Woelki sie ausdrücklich gebeten habe; er habe mit ihr über den befreundeten Geistlichen sprechen wollen.
Der Priester habe ihr etwa erzählt, dass er mit Messdienern in die Sauna gehe. Sie selbst sei eigens bei kirchlichen Jugendfahrten mitgereist, um ihn ermahnen zu können, „wenn er wieder anzüglich wurde bei den Jugendlichen“. Während einer Rom-Reise habe er mit Messdienern Unterhosen mit Penis-Aufdrucken gekauft. Im Mai 2009 habe sie die Freundschaft beendet, „weil ich nachts nicht mehr schlafen konnte und es nicht mehr ausgehalten habe mit meinem Gewissen“. All dies habe sie Woelki in dem Telefonat erzählt. Die Zeugin berichtete also nicht über Gerüchte, sondern eigene Erfahrungen – aus erster Hand.
Dieses Gespräch habe stattgefunden zwischen Mai 2009 und Woelkis Ernennung zum Erzbischof von Berlin im Juli 2011 – also vor der Beförderung des Priesters 2017, als der Kardinal wieder in Köln war. Die Frau erklärte zudem, dass sie weder die Personalakte des Priesters noch die Polizeiwarnung gesehen habe und daher mit Woelki auch nicht darüber gesprochen habe.
Die Zeugin lieferte also keine Hinweise, dass der Kardinal die belastenden Inhalte aus der Personalakte doch kannte. Zu diskutieren wird jedoch sein, ob es tatsächlich nur „Gerüchte“ waren, die Woelki über den Priester zu Ohren kamen. Immerhin informierte er sich aktiv bei einer früheren Vertrauten des Beschuldigten, die ihm eigene, direkte Erfahrungen schilderte. Das Gericht wird diesen Umstand bewerten müssen. Am 7. Dezember wird zudem ein weiterer Zeuge vernommen. Es soll sich um den früheren Interventionsbeauftragten des Erzbistums, Oliver Vogt, handeln.
Zeugin hält es für „ausgeschlossen“, dass Woelki nicht informiert war
Zuvor schon hatten weitere Aussagen einer anderen Kirchenmitarbeiterin dazu geführt,dass die Staatsanwaltschaft Köln erste Ermittlungen aufnahm, weil Woelki möglicherweise eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Auch hier ist ein Artikel der „Bild“ Stein des Anstoßes. Die Zeitung hatte unter Bezug auf einen Kirchenrechtler berichtet, Woelki habe bewusst Hinweise gegen den früheren „Sternsinger“-Chef Winfried Pilz zurückgehalten, dem sexuelle Gewalt gegen junge Männer vorgeworfen wird.
Woelki wies diese Darstellung zurück und erklärte an Eides statt, er sei als Erzbischof erst Ende Juni 2022 mit dem Fall Pilz befasst worden. Das Landgericht Köln verbot daraufhin der „Bild“ einstweilig die angezeigte Äußerung zu Woelki und Pilz. Bereits im Mai und Juni hatte das Gericht in weiteren Verfahren – darunter die Sache mit dem beförderten Priester – teilweise gegen „Bild“ entschieden und einstweilige Unterlassungsverfügungen ausgesprochen. Gegen diese wehrt sich die Zeitung nun rechtlich.
Auch der Streit um den Pilz-Artikel geht weiter. In einem Interview des „Kölner Stadt-Anzeigers“ widersprach die Assistentin des früheren Personalchefs im Erzbistum, Hildegard Dahm, der Darstellung Woelkis. Bereits 2015 habe sie für ein Arbeitstreffen ihres Chefs mit dem Erzbischof eine Liste mit beschuldigten Priestern erstellt – darunter auch Pilz. Sie halte es zudem für „ausgeschlossen“, dass die Interventionsstelle des Erzbistums 2018 Personalakten in dem Fall an die Staatsanwaltschaft übergeben haben soll, ohne vorher den Kardinal zu informieren.
Dahm äußerte sich auch zu einem lobenden Nachruf auf Pilz, den die Erzdiözese zu dessen Tod 2019 veröffentlichte. Diesen hatte der Personalchef und nicht der Erzbischof oder der Generalvikar unterschrieben. „Da ist der Dienstweg nicht eingehalten worden. Das passiert nicht einfach so“, sagte sie.
„Da ist der Dienstweg nicht eingehalten worden. Das passiert nicht einfach so“
Die Erzdiözese bekräftigte indes erneut, der Kardinal sei erst Ende Juni mit dem Fall befasst worden. Dahms Darstellungen widersprächen dem nicht. Der früheren Assistentin, die immer noch im Kirchendienst arbeitet, stellte das Erzbistum arbeitsrechtliche Konsequenzen in Aussicht.
Auch die ehemalige Meisner-Sekretärin ist nach wie vor bei der Kirche tätig – als Mini-Jobberin. Die Vernehmung falle ihr schwer, weil sie ihrem Arbeitgeber gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet sei, sagte sie vor Gericht. Sie habe sich trotzdem für die Aussage entschieden, „weil ich denke, das Lügen muss aufhören“.
Unterdessen sagte der evangelische rheinische Präses Thorsten Latzel die traditionelle Adventvesper mit Woelki ab. Die „innerkatholische Auseinandersetzung“ solle das Fest nicht überlagern. Auch zu einer der wichtigsten Veranstaltungen des Kölner Karneval – der Proklamation des Dreigestirns – wurde der Erzbischof nicht eingeladen. Wegen der von Woelki geförderten Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) gibt es immer häufiger Kritik inner- und außerhalb der Kirche, mittlerweile auch vonseiten der Landesregierung.
Es wird einsam um Woelki. Immer wieder hat er Vorwürfe zurückgewiesen, Fehler im Umgang mit Missbrauchshinweisen gemacht zu haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft könnten diese Selbstdarstellung kippen.
Von Anita Hirschbeck (KNA)
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