Das große Flimmern: 70 Jahre Fernsehen

Am Ersten Weihnachtstag 1952 startete in der Bundesrepublik das Fernsehen. Ein Blick zurück auf 70 Jahre Menschen, Bilder und Emotionen von „A bis Z“.
Am Ersten Weihnachtstag 1952 startete in der Bundesrepublik das Fernsehen. Ein Blick zurück auf 70 Jahre Menschen, Bilder und Emotionen von „A bis Z“.

–Foto:Pexels/ Pixabay

A – Abkürzungsfimmel

Ein Meilenstein: die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, ARD, im Juni 1950. Das Zweite Deutsche Fernsehen, ZDF, kam 1961 hinzu; neben den dritten Programmen lange Jahre allein auf weiter Fernsehflur. Heute ist der Abkürzungsfimmel eher eine Spezialität der Privaten: von GNTM – Germany’s Next Top Model – bis GZSZ – Gute Zeiten, schlechte Zeiten.

B – Buntes

Im August 1967 gab Bundeskanzler Willy Brandt mit rollendem „R“ den „Starrrrtschuss für das deutsche Farrrrbferrrrnsehen“. Dafür drückte er auf einen roten Knopf. Dass die Farbe schon etwas eher ins Bild floss, war der Technik geschuldet, die etwas zu früh den Schalter umlegte; Brandts Buzzer war nur eine Attrappe. Egal: Zu diesem Zeitpunkt besaßen gerade mal 6.000 Haushalte ein Farbfernsehgerät.

C – Comedians

… hießen früher Komikerin oder Komiker und grimassierten sich wie Ingrid Steeger und Didi Hallverorden fröhlich durch Formate wie „Klimbim“ oder „Nonstop Nonsens“. Die Comedians von heute wollen oft gar nicht mehr lustig sein, sondern übernehmen mehr und mehr die Aufgabe von Investigativ-Journalisten. Beispiele: Carolin Kebekus oder Jan Böhmermann.

D – DDR-Fernsehen

Der Osten war schneller: Am 21. Dezember 1952 ging das DDR-Fernsehen auf Sendung, vier Tage vor dem Westen. Nur wenige Köpfe und Formate überlebten die Wende von 1989; etwa der „Polizeiruf 110“ (oft besser als der „Tatort“), Carmen Nebel, das Sandmännchen und Wolfgang Lippert.

E – Entertainer

Gendern lohnt sich hier nicht – denn die große Zeit der Entertainer waren die Samstagabendshows der 60er bis 80er Jahre. Platz blieb für Frauen meist nur als Assistentinnen, Ansagerinnen oder Nachrichtensprecherinnen. Entertainer konnten moderieren, singen oder tanzen (Peter Alexander), Sketche spielen (Rudi Carell, Peter Frankenfeld) oder Sprüche klopfen. Letzter noch aktiver Vertreter: Thomas Gottschalk. Bei seinen „Wetten, dass..?“-Auftritten lotst ihn aber Michelle Hunziker durch die Sendung.

F – Fußball

… verschlingt inzwischen unanständige Unsummen für Senderechte.

G – Gebühren

… finanzieren die öffentlich-rechtlichen Sender. Mittlerweile heißen sie Rundfunkbeiträge, weil’s netter klingt. Querdenker faseln gern von „Zwangsgebühren“. Aber könnte es nicht auch gut sein, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu haben? Und der muss halt auch irgendwie finanziert werden. Die Frage ist, wofür die Beiträge eingesetzt werden.

H – Hitparade

„Musik ist Trumpf“ gilt auch im Fernsehen. Legendär Dieter Thomas Heck mit der Hitparade „in Ihrem Zett-Dee-Eff“. Freunde volkstümlicher Unterhaltung bediente über Jahrzehnte Karl Moik mit seinem „Musikantenstadl“. Die Jüngeren konnten später zu VIVA oder MTV wechseln. Und dann gibt es ja noch den europaweiten Sängerwettstreit Grand Prix Eurovision de la Chanson. Weil das niemand mehr aussprechen kann, heißt er inzwischen Eurovision Song Contest, ESC.

I – Information

Bezeichnend, dass die „Tagesschau“ und die „Aktuelle Kamera“ mit zum ersten gehörten, was Zuschauer in West und Ost vor 70 Jahren zu sehen bekamen. Die täglichen Nachrichten zählen immer noch zu den Flaggschiff-Angeboten der Öffentlich-Rechtlichen. Umso unverständlicher, dass hintergründige Informationsformate wie der „Weltspiegel“ lieblos auf wenig attraktive Sendeplätze abgeschoben werden.

J – Jugend

„Hallo Freunde“ – so begrüßte Ilja Richter in den 70ern die jungen Zuschauer seiner ZDF-„Disco“. Heute umgarnen ARD und ZDF die 14- bis 29-Jährigen mit dem „Content-Netzwerk“ funk, inklusive TikTok-Schwerpunkt und Podcast-Bereich. Für die noch Jüngeren gibt’s den Kinderkanal KiKA. Alle anderen jungen Menschen tummeln sich, wenn nicht im Internet, dann wahrscheinlich eher bei den Shows von Joko & Klaas auf Pro 7 oder den Angeboten anderer Privatsender.

K – Krimi

Zürich, Istanbul, Neuseeland, Schweden, Bodensee. Im deutschen Fernsehen wird ermittelt, was das Zeug hält. Zugpferde dabei bleiben „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Für die dritten Programme der ARD ist das eine schöne Sache: Sie können mit bereits ausgestrahlten Krimis Sendeplätze verstopfen, die sie sonst mit innovativeren Inhalten bespielen müssten.

L – Liebe

Ob „Bauer sucht Frau“ oder „Love Island“: Sogenannte Flirt- und Kuppel-Shows sind bei vielen Sendern gesetzt. Recht harmlos ging es noch beim „Herzblatt“ zu. Einer der frühen Kandidaten: ein gewisser Kai Pflaume.

M – Mainzelmännchen

„Gud’n Aaamd“ – so pflegen die Mainzelmännchen die ZDF-Zuschauer zu begrüßen. Willkommen in der Welt der Sendermaskottchen! Beim WDR standen eine Weile Ute, Schnute und Kasimir hoch im Kurs. Der KiKA setzt auf Bernd, das Brot, und in der ARD-Kindersendung „Montagsspaß“ zeigte sich Anfang der 80er Jahre Zini, ein computeranimiertes „Wuslon aus der Familie der Elektroiden“. RTL brachte die fleischfarbene Klappmaulpuppe Karlchen auf den Bildschirm. Und im NDR tauchte für viele Jahre sogar ein echtes Walross auf: Antje.

N – Netflix

Streamingdienste sind die wohl härteste Konkurrenz der etablierten TV-Sender. Lineares Fernsehen, also Glotzen nach Vorgaben der Programmmacher, ist out. Zuschauer wollen heute selbst entscheiden, was sie wann sehen. Netflix und Co machen das möglich. Die Antwort des klassischen Fernsehens darauf heißt „Mediathek“. Noch etwas ratlos stehen die Verantwortlichen vor den Geldern, die Sky, Amazon Prime und andere in die Produktion hochwertiger Serien und Dokus pumpen. Im Zweifel wird kooperiert – wie bei „Babylon Berlin“.

O – Oben ohne

RTL brachte 1990 mit „Tutti Frutti“ die angeblich erste Erotik-Spielshow ins deutsche Fernsehen. Von da an brachen manche Dämme.

P – Programmvielfalt

Ob der katholische Sender K-TV, Home-Shopping-Kanäle oder Spartenangebote für Reiselustige und Astrologie-Adepten: Eine Fernbedienung reicht fast nicht mehr aus, um alles zu erkunden, was im TV zu sehen ist.

Q – Quiz

„Risiko!!“, raunte Wim Thoelke beim „Großen Preis“. „Welches Schweinderl hätten’S denn gern?“, fragte Robert Lembke beim heiteren Beruferaten „Was bin ich?“, „Klick“ machte es bei Hans Rosenthals „Dalli Dalli“. Heutzutage sind Quizshows eine dankbare Aufgabe für Alleswegmoderierer wie Jörg Pilawa.

R – Reporter

… bringen dem Publikum Live-Ereignisse nahe. Unvergessen Marcel Reif und Günther Jauch 1998, als ein umgefallenes Tor das Fußballspiel zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund für eine halbe Ewigkeit verzögerte. O-Ton Reif: „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan.“

S – Sendeschluss

… mit unbekanntem Ziel verzogen. Heute senden fast alle alles rund um die Uhr, ohne Erbarmen. Kaum zu glauben, dass vor 70 Jahren am ersten Sendetag des westdeutschen Fernsehens das Programm nach zwei Stunden auch schon wieder beendet war.

T – Talkshows

Die Algenpest des Fernsehens. Zu haben in verschiedenen Varianten von krawallig („Arabella“ auf Pro 7, aber auch, ähnlich lange her, „Das Literarische Quartett“ mit einem streitbaren Marcel Reich-Ranicki) bis politisch („Sabine Christiansen“, „Anne Will“ etc.pp.). Der Erkenntnisgewinn ist meist ebenso überschaubar wie der Produktionsaufwand – was wiederum die Beliebtheit von Talkshows bei Programmmachern erklärt.

U – Unterhaltung

Ein weites Genre, unter das Seifenopern wie die „Lindenstraße“ ebenso fallen wie Serien-Highlights etwa von Helmut Dietl („Kir Royal“). Auch die Subgenres von Doku-Soap, Reality-TV und Celebrity-Beichten lassen sich hier ansiedeln. Mutter aller Promi-Ausschlacht-Schlachten ist Frauke Ludowig, die auf RTL das Star-Magazin „Exclusiv“ präsentiert.

V – Verbraucher

Werden insbesondere von den Öffentlich-Rechtlichen mit Hingabe bedacht. Inzwischen müssten die dritten Programme alle Tiefkühlpizzen, Sprudelautomaten und Matratzenschoner dieser Republik durchgenudelt haben.

W – Wort zum Sonntag

Nach der „Tagesschau“ das zweitälteste Format im deutschen Fernsehen. Die erste Sendung strahlte die ARD am 8. Mai 1954 aus. Prominenteste Sprecher der von den beiden großen Kirchen gestalteten Sendung waren Papst Johannes Paul II. im April 1987 und Papst Benedikt XVI. im September 2011.

X – XY

Ein weiterer Dauerbrenner aus dem öffentlich-rechtlichen Universum: „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Im Oktober 1967 bat Eduard Zimmermann erstmals zur Verbrecherjagd am Bildschirm. Kultstatus erlangten auch Zimmermanns Kollegen aus der Schweiz und Österreich, der leicht schildkrötenhaft wirkende Konrad Toenz und der mitunter bräsig daherkommende Peter Nidetzky.

Y – Yogeshwar

Der stets begeistert klingende Ranga Yogeshwar soll hier stellvertretend für Wissenschaftsshows stehen. Vorläufer waren Bernhard Grzimeks „Ein Platz für Tiere“ (Nachgeborene schauen sich besser die Loriot-Parodie samt Steinlaus an) und Heinz Sielmanns „Expeditionen ins Tierreich“. Aus der mittleren Epoche erwähnenswert: die „Knoff-hoff-Show“ mit Joachim Bublath und Ramona Leiß. Wissen macht nämlich ah!

Z – Zuschauer

… sorgen für Quote. Sinkende Quoten besorgen die Programmmacher, die um die Quote herumtanzen wie weiland die Israeliten um das Goldene Kalb.

Von Joachim Heinz (KNA)